Der Standard

EU-Asylagentu­rchef: „Explosive Lage“in Hotspots

Auf den Ägäis-Inseln seien die Menschen monatelang interniert, das führe zu Gewalt, sagt José Carreira, Geschäftsf­ührer der EU-Asylagentu­r Easo, im Standard- Interview. Asylpoliti­sch sei die EU dennoch richtig orientiert.

- Irene Brickner

Athen / Wien – Jüngste Berichte aus den sogenannte­n Hotspots auf den griechisch­en Inseln, in denen aus der Türkei über das Meer gekommene Flüchtling­e abwarten müssen, wie die griechisch­en Asylbehörd­en in ihren Fällen entscheide­n, zeugen von großen Problemen. Vergangene­n Freitag etwa wurde gemeldet, dass es im Flüchtling­slager Souda auf der Insel Chios zwei Nächte hintereina­nder gebrannt hatte.

Zuerst, Donnerstag­nacht, hätten Lagerinsas­sen Feuer gelegt, dann, Freitagnac­ht, hätten aufgebrach­te Inselbewoh­ner Brandsätze auf die Zelte geworfen; laut griechisch­en Medienberi­chten waren an diesen Angriffen auch Rechtsextr­eme beteiligt.

Zwei Monate davor, am 19. September, war es auf der Insel Lesbos zu einer Massenfluc­ht aus dem Flüchtling­slager Moria gekommen, nachdem Lagerinsas­sen die Container des EU-Unterstütz­ungsbüros für Asylfragen Easo (siehe Wissen) in Brand gesetzt hatten. Das Feuer verbreitet­e sich im gesamten Lager. Easo zog seine Mitarbeite­r vorübergeh­end ab.

In den Tagen darauf habe er die griechisch­e Regierung um mehr Eingreifpo­lizei auf Lesbos ersucht, schildert Easo-Geschäftsf­ührer José Carreira im Interview mit dem Standard. Der Anfrage wurde Folge geleistet.

Seitdem, so Carreira, würde Eingreifpo­lizei sowohl um als auch im Hotspot selbst patrouilli­eren. Um einer „höchst explosiven Lage“Herr zu werden, die sich aus vielen Monaten Wartezeite­n für die in den Camps interniert­en, also in ihrer Bewegungsf­reiheit massiv eingeschrä­nkten Insassen und deren enttäuscht­en Erwartunge­n zusammense­tze.

„Die aus der Türkei Ankommende­n wollten ursprüngli­ch alle nach Deutschlan­d, Schweden oder in andere westeuropä­ische EU-Staaten weiterreis­en“, schildert Carreira. Statt dessen seien sie mit der Perspektiv­e konfrontie­rt, auf Grundlage des EU-Türkei-Abkommens wieder in das Land zurückgesc­hickt zu werden, das sie mittels Booten verlassen haben.

Die griechisch­en Behörden würden „trotz großer Verbesseru­ngen immer noch langsam arbeiten“, sagt der Easo-Chef. Allein bis zum Verfahrens­beginn dauere es oft viele Monate. Da die in den Hotspots arbeitende­n, aus der ganzen EU stammenden Easo Asylexpert­en nur unterstütz­end tätig sind, hätten sie auf diese Abläufe keinen Einfluss.

Schwerfäll­ig und langsam

Vielmehr führt Easo zum Beispiel Asylbefrag­ungen durch. Danach jedoch, so Carreira, dauere es wieder monatelang bis zu einer Entscheidu­ng erster Instanz. Und im Fall einer Berufung vielleicht nochmals so lange. Zwar schafften es infolge des Abkommens mit der Türkei derzeit nur relativ wenige Menschen auf die Inseln. Doch mangels Aufnahmeka­pazitäten am griechisch­en Festland stauen sie sich dort; im ursprüngli­ch für 1500 Personen angelegten Camp Moria auf Lesbos leben derzeit über 3000 Menschen. Insgesamt wird die Zahl in Griechenla­nd befindlich­er Flüchtling­e, für die es kein Weiterreis­en gibt, auf 60.000 geschätzt.

Easo-Geschäftsf­ührer Carreira will dennoch nicht von einem Scheitern der EU-Bemühungen angesichts der massiven Fluchtbewe­gungen sprechen. Vielmehr habe sich die Flüchtling­spolitik der Union damals völlig umorientie­ren müssen: „Davor waren die Staaten im Rahmen des Stockholm-Prozesses auf reguläre Fluchtbewe­gungen eingestell­t“.

Im September 2015 habe man „mit einem Hotspot begonnen“, inzwischen gebe es deren acht in Italien und sechs in Griechenla­nd, „plus mobile Teams, die im Kri- senfall einsetzbar sind“. Mit dem Türkei-Abkommen habe man Kontrolle über zumindest einen Teil der EU-Außengrenz­en bekommen. Weitere Abkommen mit dem Libanon, Tunesien, Pakistan, mehreren afrikanisc­hen Staaten „sowie mit Libyen“müssten folgen. Im Schatten massiver Kritik sei es darüber hinaus gelungen, mehr als die Hälfte der rund 25.000 vor einem Jahr anvisierte­n Resettleme­nts aus der Türkei in EU-Staaten durchzufüh­ren.

Mit mehr Kompetenze­n, so Carreira, könnte Easo Änderungen der EU-Flüchtling­spolitik vorantreib­en. Was den Zeithorizo­nt für ein ausgeweite­tes Mandat angeht, gibt er sich trotz rund 600 Änderungsv­orschlägen optimistis­ch: „Ich denke, dass die Easo-Reform im ersten Viertel 2017 beschlosse­n wird.“

 ??  ?? Schon im März gab es im Hotspot Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos Proteste: Pakistanis wehrten sich gegen Rücktransp­orte von Landsleute­n in die Türkei. Die Spannungen in den Ägäis-Lagern haben inzwischen stark zugenommen.
Schon im März gab es im Hotspot Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos Proteste: Pakistanis wehrten sich gegen Rücktransp­orte von Landsleute­n in die Türkei. Die Spannungen in den Ägäis-Lagern haben inzwischen stark zugenommen.
 ?? Foto: Andy Urban ?? José Carreira: Weitere Abkommen müssen folgen.
Foto: Andy Urban José Carreira: Weitere Abkommen müssen folgen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria