KOPF DES TAGES
Die anonyme Großstadt abbilden
Begonnen hat alles damit, dass ein Tiroler Bub einst seine Schulhefte vorzugsweise mit Zeichnungen und Sketchen füllte. Aus dem Drang zur schnellen Skizze wurde mehr. Heute messen die Bilder des 1984 in Tirol geborenen Urban-Art-Künstlers mit dem Pseudonym Golif satte 30.000 Quadratmeter.
Das mit fünf Tonnen Farbe gemalte SchwarzWeiß-Gesicht auf dem Freigelände von NeuMarx im dritten Wiener Gemeindebezirk soll gar das größte Bild der Welt sein. Es trägt den Titel The Observer („Der Beobachter“) und ist ob seiner Größe von etwa sechs Fußballfeldern wohlweislich nur aus großer Distanz zu erkennen. Darin liegt auch die Message des Künstlers: Der Blickwinkel bestimmt, was wir erkennen können.
Dieses Gesicht ist die Variation eines männlichen Konterfeis, das sich durch das bisherige Werk des in Wien lebenden Künstlers zieht: ein – wie der Urheber selbst – leicht vermummter Typ von unbestimmter Gemütsregung, der trotz seiner scheinbar finsteren Aufmachung vor allem Ruhe ausstrahlt. Golif – die Buchstaben seiner Künstlerfigur wie seines Künstlernamens – sind gänzlich sinnfrei und dienen vor allem einem idealen typografischen Erscheinungsbild.
Der 32-Jährige hat nach einer Ausbildung zum Vergolder, Schilder- und Illusionsmaler – Berufen, in denen er auch tätig war – soeben das Studium der Druckgrafik an der Angewandten abgeschlossen. Auch wenn er die Graffitikultur schätzt und einen Skateboarder-Style pflegt, so versteht sich Golif dennoch nicht als Street-Artist, sondern begreift sich als klassischen Künstler, der Skulptur, Grafik und Malerei verbindet.
Dass dabei der öffentliche Raum der Stadt das bevorzugte Präsentationsfeld ist, hängt mit der Mission zusammen: „Es brennt in mir, die Stadt umzugestalten“, sagte Golif anlässlich seines Vorgängerprojekts, eines ebenfalls riesengroßen Stop-Motion-Ensembles in der Wiener Anschützgasse, das wie Neu-Marx auch dank einer Zwischennutzung realisierbar war.
Eine längere Lebensdauer ist den meist in düsterer Graphic-Novel-Optik gehaltenen Bildern des vom Galeristen Peter Doujak vertretenen Künstlers in Galerien, auf Häuserfassaden, in Hotellobbys oder in Musikvideos (z. B. Wasserfarben von Wiener Wolke) gewährt. Stets sind es urbane Spannungsfelder, die den Künstler interessieren – insbesondere die anonymen Geschöpfe der Großstadt, wie er selbst eines ist.