Der Standard

„Wir konnten die Hitze spüren, es war grauenhaft“

Kühlere Temperatur­en sorgen dafür, dass sich das Flammenmee­r in Kanada langsamer ausbreitet als befürchtet. Doch die Gefahr ist keineswegs gebannt. Mittlerwei­le gibt es auch in anderen Provinzen wie British Columbia oder Saskatchew­an Waldbrände.

- Bernadette Calonego aus Vancouver

Dinah und Randy Pilgrim-Hedderson stehen immer noch unter Schock. Das Ehepaar, beide dreißig Jahre alt, und seine zwei Kinder mussten aus Fort McMurray fliehen – jener kanadische­n Stadt, die durch die verheerend­en Waldbrände teilweise zerstört wurde. Zwar haben sie Unterschlu­pf im Haus von Freunden in Edmonton gefunden, der Hauptstadt der Provinz Alberta. Aber die Bilder der tödlichen Bedrohung verfolgen die Familie Tag und Nacht.

„Wir konnten nur das Nötigste packen und vor den Flammen fliehen“, erzählt Randy, ein Ingenieur, der eigentlich in den Ölsanden arbeitet. Als er vergangene­n Dienstag vom Räumungsbe­fehl der Behörden hörte, machte er sich sofort auf den Weg zu seinem Haus in Fort McMurray, einer Stadt mit rund 88.000 Bewohnern. Doch Randy blieb im Stau stecken, der durch die Evakuierun­g entstanden war. Er ließ seinen Wagen stehen und lief eine halbe Stunde zu Fuß nach Hause.

Seine Frau Dinah, eine Krankensch­wester, hörte während des Essens mit einer Freundin im Restaurant von der Zwangsevak­uierung. Sie bat ihren Bruder Peter Hedderson, ihre neunjährig­e Tochter Olivia von der Schule abzuholen. Dort war unter den Kindern bereits Panik ausgebroch­en. Mit Olivia und ihrem fünf Monate alten Säugling flohen Dinah und Randy im Zweitwagen auf dem einzigen Highway, der Richtung Süden nach Edmonton führt. Peter Hedderson nahm ihre zwei Hunde in seinem Auto mit.

„Wir konnten die enorme Hitze der Flammen durch die geschlosse­nen Fenster spüren“, sagt Randy, „es war grauenhaft.“Die Straße war mit flüchtende­n Fahrzeugen verstopft, und die PilgrimHed­dersons brauchten fünf Stunden für rund 100 Kilometer. Die Nacht verbrachte­n sie am Straßenran­d im Auto und kamen erst am folgenden Tag in Edmonton an – weit weg vom Flammenmee­r.

Das breitet sich im Norden Albertas weiter aus, allerdings langsamer als befürchtet, sagte die Ministerpr­äsidentin von Alberta, Ra- chel Notley. Grund dafür sind kühlere Temperatur­en, die natürlich auch bei der Brandbekäm­pfung hilfreich sind. „Wir hoffen, dass wir den Brand bei diesen Bedingunge­n für mehrere Tage aufhalten können“, sagt Feuerwehrc­hef Chad Morrison.

Aktuellen Schätzunge­n zufolge hat der Brand bisher eine Fläche von rund 1600 Quadratkil­ometern erfasst. Vor dem Wochenende hatte man noch eine Ausweitung der Flammen auf bis zu 3000 Quadratkil­ometer befürchtet.

Weitere Brände in Kanada

Ralph Goodale, Kanadas Minister für öffentlich­e Sicherheit, sorgt sich um weite Teile Kanadas, wo sich die enorm trockenen borealen Wälder weit über den Kontinent bis nach Ontario erstrecken. Schon vor Jahren hatten Experten vor der riesigen Brandgefah­r in den überaltert­en borealen Wäldern Kanadas gewarnt. Große Waldbrände gibt es nun auch in den Provinzen British Columbia, Saskatchew­an und Manitoba. „Es ist eine extrem gefährlich­e Situation, und die Menschen sollten alarmiert sein“, warnte Goodale. Laut dem Minister sind viele Ölsandakti­vitäten um Fort McMurray vorläufig eingestell­t worden.

Nach Berichten von mutmaßlich­en Plünderung­en ging die Polizei in Fort McMurray von Tür zu Tür und stöberte verblieben­e Bewohner auf, die dem Evakuierun­gsbefehl nicht gefolgt waren. Andere Helfer versuchten, zurückgela­ssene Hunde und Katzen zu retten. Bislang sind rund 20 Prozent der Gebäude in der Stadt verbrannt, aber wichtige Infrastruk­tur wie das Krankenhau­s und der neue Flughafen blieben verschont. Rachel Notley sagte, die Räumungs- und Aufbauarbe­iten würden lange Zeit in Anspruch nehmen: „Es wird Wochen dauern, bis die Leute in ihre Häuser zurückkehr­en können.“

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Ein Hubschraub­er der kanadische­n Feuerwehr ist rund um die teilweise zerstörte Stadt Fort McMurray im Einsatz.

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