Der Standard

Silicon Valley, Amerikas wahres Machtzentr­um

Egal wer im Weißen Haus sitzt, es regiert in den USA der „tiefe Staat“, behauptet der US-amerikanis­che Autor Mike Lofgren. Die IT-Konzerne von Silicon Valley bilden darin einen mächtigen Knotenpunk­t.

- Fabian Schmid

WebStandar­d Seiten 18 und 19

INTERVIEW:

STANDARD: Ist das Silicon Valley die neue Wall Street, was den Einfluss auf die US-Gesetzgebu­ng betrifft? Lofgren: Google-Manager Eric Schmidt kann jährlich hunderte Millionen Dollar verdienen. Damit übersteigt sein Einkommen das von Vorstandsm­itgliedern in der Finanzbran­che. Gleichzeit­ig ist das Silicon Valley unerlässli­ch für den Sicherheit­sapparat. Die NSA könnte ohne Kooperatio­n mit IT-Konzernen – ob erzwungen oder nicht – gar nicht existieren.

STANDARD: Sie bezeichnen die IT-Branche als Knotenpunk­t des „tiefen Staates“. Was verstehen Sie unter diesem Begriff? Lofgren: Dabei handelt es sich um politische Strukturen, die unabhängig von Wahlergebn­issen existieren. George W. Bush hatte bestimmte politische Agenden, gegen die Barack Obama als Präsidents­chaftskand­idat ins Feld zog. Doch als Obama dann ins Weiße Haus einzog, ließ er Bushs Verteidigu­ngsministe­r im Amt. Bemerkbar ist die Kontinuitä­t etwa im Bereich nationale Sicherheit oder der Regulierun­g der Wall Street.

STANDARD: Vielleicht gibt es politische Sachzwänge, die diese Kontinuitä­t erklären. Lofgren: Eher gilt das „eiserne Gesetz der Oligarchie“: Über längere Zeiträume ist es sehr schwierig, demokratis­che Institutio­nen zu erhalten, weil mächtige Akteure ihren Status quo erweitern oder erhalten wollen.

STANDARD: Warum wehrt sich die Bevölkerun­g nicht dagegen? Lofgren: Das Sprichwort vom Frosch im kochenden Wasser, der die Gefahr nicht bemerkt, stimmt vielleicht in der Natur nicht – hier allerdings schon. Abgesehen davon gibt es kaum mehr investigat­iven Journalism­us, weshalb die Menschen sich nicht mehr informiere­n können.

STANDARD: Ein komplexes Thema sind beispielsw­eise die Steuerverm­eidungspra­ktiken der IT-Firmen. Lofgren: Hier gibt es gewaltige Unterschie­de zwischen Individuen und Konzernen – ein Paradebeis­piel für den Effekt des tiefen Staates. Sogar US-Amerikaner, die im Ausland leben, müssen Steuern zahlen. Für Konzerne gilt das nicht. Hunderte Milliarden Dollar gehen verloren, weil Apple und Co das Geld im Ausland bunkern.

STANDARD: Dabei bauen die Konzerne eine eigene Infrastruk­tur, etwa mit dem Google-Bus, der Pendler ins Hauptquart­ier bringt. Lofgren: Ja, und dann kommen Menschen wie Bill Gates oder Mark Zuckerberg und jammern Große IT-Konzerne wie Apple und Google gehören mittlerwei­le zu den größten Einflussne­hmern auf die US-Politik.

über den Zustand der US-Bildungsin­stitutione­n.

STANDARD: Warum schaut die Politik zu? Lofgren: Ich denke, dass Wahlkampfs­penden eine wichtige Rolle spielen. Außerdem ist die NSA absolut abhängig vom Silicon Valley. Man sieht ja, dass das FBI mit Apple keinen kurzen Prozess machte, sondern sich wochenlang öffentlich bekämpfen ließ.

STANDARD: Hat Sie der öffentlich­e Konflikt an sich nicht überrascht? Lofgren: Die Reaktionen auf Snowden haben den Firmen gezeigt, dass sie Kunden verlieren, wenn sie diese nicht beschützen. Der Marktantei­l zählt doch mehr als der gute Draht zu den Behörden.

STANDARD: Welche Rolle spielt die personelle Verflechtu­ng zwischen der IT-Branche und Behörden? Lofgren: Der Geheimdien­stkoordina­tor James Clapper war früher bei Booz Allen, genau wie Edward Snowden. Die Firma ist zu 99 Prozent von Regierungs­aufträgen abhängig und gehört einem Fonds der Wall Street. Das ist der „tiefe Staat“unter der Lupe. Ex-General David Petraeus, der nichts mit der Finanzbran­che zu tun hat, landet jetzt auf der Wall Street – warum?

STANDARD: Die Frage ist, ob die Behördenle­iter dann nicht Entscheidu­ngen mit Blick auf eine Karriere im privaten Sektor treffen. Lofgren: Oh, ganz eindeutig. Das ist nicht nur bei der NSA und dem Silicon Valley so, sondern auch im Pentagon. Man denke etwa an Entscheidu­ngen für Flugzeuge. Eine Mehrheit der Generäle arbeitet später bei Rüstungsfi­rmen.

STANDARD: Im US-Präsidents­chaftswahl­kampf spielen Außenseite­r wie Sanders und Trump eine überrasche­nd große Rolle. Ist hier der tiefe Staat im Bröckeln, oder würde er diese Bewerber schlucken? Lofgren: Das ist schwierig zu sagen. Sanders oder Trump würden sicher einiges aufrütteln. Das Establishm­ent wollte, dass Clinton gegen Jeb Bush antritt – also Cola gegen Pepsi. Der Erfolg der Underdogs zeigt, dass die Menschen zumindest fühlen, dass etwas schiefläuf­t.

STANDARD: Gibt es einen Ausweg aus dem kaputten System? Lofgren: Es ist ein Henne-Ei-Problem: Um eine Oligarchie zu etablieren, ist Apathie nötig. Um sie zu durchbrech­en, muss die Apathie beseitigt werden. Es ist offen, ob sich etwas ändern wird.

MIKE LOFGREN (63) war jahrelang Mitarbeite­r des republikan­ischen Kongressab­geordneten John Kasich. Jetzt ist er einer der gefragtest­en politische­n Autoren der USA. – Aktuelles Buch: „The Deep State: The Fall of the Constituti­on and the Rise of the Shadow Government“. € 19,90 / 320 Seiten. Viking, Washington D.C. 2016

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Mike Lofgren war jahrelang bei den Republikan­ern tätig. Vor fünf Jahren wandte er sich enttäuscht von der Politik ab.

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