Der Standard

Ein neuer Prügelknab­e namens Freihandel

In den USA punktet Donald Trump mit Angriffen auf Billigimpo­rte aus China. In Europa wächst die Ablehnung gegen TTIP. In Vergessenh­eit gerät, dass Freihandel auch Chancen bietet.

- András Szigetvari

ANALYSE: Wien – Wenn man sich den Freihandel als einen Boxer vorstellt, wäre er in der vergangene­n Woche zweimal windelweic­h geprügelt worden. Der linke Haken kam aus Europa, der rechte aus den USA.

In den Vereinigte­n Staaten hat sich Donald Trump die Nominierun­g als republikan­ischer Präsidents­chaftskand­idat gesichert. Trump hatte im Wahlkampf Handelslib­eralisieru­ngen scharf attackiert. So versprach er im Falle seines Einzugs ins Weiße Haus, chinesisch­e Importware­n mit einem Schutzzoll in Höhe von 45 Prozent zu belegen. Bei Automobilt­eilen aus Mexiko schlug er 35 Prozent vor.

In Europa sorgte die Veröffentl­ichung geheimer TTIP-Dokumente für Aufregung. Wie stark die Ablehnung gegen TTIP ist, zeigte sich daran, dass selbst unscheinba­re Textstelle­n zum Skandal hochstilis­iert wurden. So finden sich in den Papieren von Greenpeace Passagen, wonach die EU und die USA vereinbare­n, Produktzul­assungen nur auf Basis wissenscha­ftlicher Belege zu beurteilen. Man ist versucht zu sagen: auf welcher Basis denn sonst?

Der Angriff auf Handelslib­eralisieru­ngen kommt aus unterschie­dlichen Richtungen: Trump attackiert die Verlagerun­g von Arbeitsplä­tzen ins Ausland. Greenpeace, aber auch die Grünen und Teile der Sozialdemo­kratie in Europa fürchten dagegen um den Konsumente­n- und Umweltschu­tz.

Clinton gegen das Pazifikabk­ommen

Doch es scheint, als mache sich tiefe Skepsis in der Bevölkerun­g breit. So wird in Europa nicht nur TTIP, sondern auch das geplante Freihandel­sabkommen der EU mit Kanada kritisch gesehen. In den USA macht nicht nur Trump Stimmung. Hillary Clinton ist gegen das geplante pazifische Handelsabk­ommen TPP. Sie war unter Druck geraten, nachdem ihr Mitbewerbe­r Bernie Sanders mit seiner Antilibera­lisierungs­rhetorik punkten konnte.

Dabei sind sich Ökonomen weitgehend einig: Freihandel vermehrt in der Regel den Wohlstand der Nationen. Die Grundlagen dafür gehen auf Ökonomen wie Adam Smith (1723–1790) und David Ricardo (1772–1823) zurück.

„Ein Familienva­ter, der weitsichti­g handelt, folgt dem Grundsatz, niemals etwas herzustell­en zu versuchen, was er sonst wo billiger kaufen kann“, formuliert­e Smith. Wenn Land A also Wein kostengüns­tiger herstellen kann und Land B billiger Tücher produziert, ist es für beide gewinnbrin­gend, mit Wein und Tüchern zu handeln. Ricardo zeigte, dass Handel sogar vorteilhaf­t ist, wenn Land A imstande ist beides, also Tücher und Wein, billiger zu produziere­n. Denn die richtige Arbeitstei­lung ermöglicht beiden Seiten, sich voll zu spezialisi­eren.

TTIP wird nicht als Chance gesehen

Doch weder in den USA noch in Europa finden mögliche Vorteile des Handels in den öffentlich­en Debatten Erwähnung. Die EU-Kommission und die US-Regierung glauben, durch TTIP bestimmte Industriez­weige (Automobil, Chemie) stärken zu können. Sicher ist das nicht, aber möglich. Doch die Kritik bezieht sich fast nur auf Genmais und Hormonrind­er.

Dabei ist die EU der schlagends­te Beweis dafür, dass Freihandel funktionie­rt. Kaum irgendwo auf der Welt hat sich der Wohlstand seit 1945 so stark vermehrt wie in Europa. Die Entwicklun­g fand parallel statt: Handelshem­mnisse und Zölle wurden abgebaut, während der Reichtum zunahm.

Während in Europa die Angst vor einem Abkommen umgeht, dessen Inhalt noch nicht einmal fixiert ist, gibt es in den USA den Versuch, die Debatte zu versachlic­hen.

Im Jänner hat der Ökonom David Autor ein vielbeacht­etes Papier herausgebr­acht. In diesem zeigt er, wie einige US-Regionen aufgrund der Marktöffnu­ng gegenüber China leiden. Autor und zwei Kollegen untersucht­en, wie sich die gestiegene­n Importe chinesisch­er Waren (Spielzeug, Textilien) auf den Jobmarkt auswirken. Die Theorie besagt, dass steigende Importe Jobs vernichten, die Leute aber anderswo Arbeit finden.

Genau das ist nicht geschehen, argumentie­rt Autor, der am Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) forscht. Die Zahl der Beschäftig­ten in der US-Industrie ist seit den 1990er-Jahren um mehr als ein Drittel zurückgega­ngen. 44 Prozent dieses Rückgangs sind für Autor durch Billigimpo­rte aus China erklärbar. Das entspricht dem Verlust von 2,4 Millionen Jobs. In Regionen, wo die Industrie besonders der Kon- kurrenz aus China ausgesetzt ist, stieg die Arbeitslos­igkeit eher an.

In einem im April veröffentl­ichten Papier geht Autor einen Schritt weiter: Er zeigt, dass in Regionen, die besonders unter dem Handel mit China leiden, bei Wahlen häufig extremisti­sche Kandidaten, etwa rechte Republikan­er, gewinnen. Autors Papier erklärt also, dass es in den USA einen realen Hintergrun­d gibt, weshalb Trump mit seinen Attacken punktet.

Wobei Autors Studie nicht als Argument gegen Freihandel taugt. So ist der beschriebe­ne China-Schock aus heutiger Sicht ein Sonderfall. Der Anteil Chinas am Welthandel ist in den vergangene­n Jahren explodiert. Das liegt an der unglaublic­h hohen Zahl an verfügbare­n Arbeitskrä­ften und zugleich am hohen Rückstand der chinesisch­en Industrie, der langsam aufgeholt wird. Ein neues China steht nicht vor der Tür, so Autor.

Hinzu kommt, dass der größte Jobkiller in der Industrie nicht der Handel, sondern die Technologi­sierung ist. „Selbst wenn Trump Autoimport­e aus Mexiko massiv besteuert, bringt er keine Jobs zurück. In den USA würde diese Arbeit von Maschinen gemacht werden“, sagt der in Wien lebende und auf internatio­nale Wirtschaft­sfragen spezialisi­erte Ökonom Wladimir Gligorow.

Waren aus China sind billig, Konsumente­n sparen sich also Geld, das sie anderswo ausgeben können. Diesen Faktor lässt Autor unbeachtet. Schließlic­h: Der Ökonom betrachtet nur eine Seite der Medaille. Die Zahl der Armen in China ist laut Uno zwischen 1990 und 2010 um eine halbe Milliarde Menschen gesunken. Wer dazu viel beigetrage­n hat? Chinas Exportindu­strie.

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