Der Standard

„Ich will sofort das Maximum“

Dominic Thiem ist Teil der Weltspitze im Tennis geworden. Der 22-jährige Niederöste­rreicher fühlt sich in einigen Phasen Novak Djokovic oder Rafael Nadal schon nahe.

- Christian Hackl

INTERVIEW: STANDARD: Zwei Turniersie­ge, eine Matchbilan­z von 26:7, 775.000 Dollar Preisgeld, Platz 15 in der Weltrangli­ste. Und es ist erst April. Was haben Sie 2016 noch vor? Thiem: Das nächste große Ziel sind die French Open in Paris, ich will endlich wieder in die zweite Woche eines Grand-Slam-Turniers. Vom Papier her ist es aufgrund der Top-16-Setzung einfacher. Ich versuche in der Vorbereitu­ng in München, Madrid, Rom und Nizza gut zu sein, damit ich Selbstvert­rauen habe – obwohl ich ja selbstbewu­sst bin. Es geht darum, diesen Zustand zu konservier­en.

STANDARD: Werfen Sie manchmal einen Blick auf die Rangliste und denken, den schnappe ich mir als nächsten, den als übernächst­en? Thiem: Sicher macht man das, das machen alle Spieler. Jeder weiß, wer, wann und wo Punkte verliert. Aber in erster Linie musst du auf dich selbst schauen. Punktest du, überholst du andere automatisc­h.

STANDARD: Haben Sie die Erkenntnis gewonnen, praktisch keine Grenzen zu haben? Ihr Trainer Günter Bresnik behauptet, dass es auf der Tour momentan keinen gibt, der druckvolle­re Schläge besitzt. Boris Becker hat ihm nicht widersproc­hen. Anders gefragt: Haben Sie manchmal Angst vor sich selbst? Thiem: Nein, ich fürchte mich nicht. Ich achte nicht auf Grenzen, blicke nicht in die Zukunft. Ich will einfach nur jeden Tag besser werden.

STANDARD: Ihre letzte Partie war die Niederlage im Achtelfina­le von Monaco gegen Rafael Nadal. Im ersten Satz haben Sie 15 Breakchanc­en vergeben. Wurmt das noch? Thiem: Ich habe einiges gelernt. Die meisten Breakbälle hat er aus eigener Kraft abgewehrt, Nadal ist extrem zäh, macht wenig Dummheiten. Nichtsdest­otrotz hätte ich den Satz gewinnen müssen. Aber der Ärger ist vorbei, schließlic­h hat Nadal das Turnier gewonnen. Letztendli­ch hat sich die Enttäuschu­ng in Selbstvert­rauen umgewandel­t, weil ich weiß, diesen außergewöh­nlichen Spieler dominiert zu haben – phasenweis­e.

STANDARD: Anderes Beispiel. Davor sind Sie in Miami Novak Djokovic, dem Allerbeste­n, unterlegen. Er wirkte danach extrem erleichter­t, jubelte. Wie weit ist Djokovic weg? Thiem: Mir sind gegen Djokovic Dummheiten passiert, aber er zwingt dich dazu. Von Djokovic, Nadal oder Murray werden dir keine leichten Fehler geschenkt. Deshalb neigst du dazu, mehr zu riskieren. Und dann kommt dabei die eine oder andere Dummheit heraus. Das ist ein Lernprozes­s. In einigen Momenten bin ich Djokovic schon recht nahe.

STANDARD: Was sagte er zu Ihnen? Thiem: Nichts Besonderes. Gutes Match, alles Gute. Gespräche nach dem Match gehen nie in die Tiefe.

STANDARD: Sie sind erst 22, Djokovic spielt mit 28 sein bestes Tennis. Sie haben eigentlich noch dammt viel Zeit, oder? Thiem: Einerseits habe ich Zeit, anderseits sage ich nicht, ich will erst in fünf Jahren top sein. Ich will sofort das Maximum. Es ist wichtig, im Moment zu leben. Man darf sich nie auf den Faktor Zeit verlassen. ver-

STANDARD: Sitzt zumindest im Hinterkopf der Gedanke, irgendwann die Nummer eins zu werden? Thiem: Das ist extrem schwierig, es passiert oder passiert nicht. Es ist ein Traum von vielen, er geht nur für ganz wenige in Erfüllung, Ich gebe keine Prognosen ab, kann es aber nicht ausschließ­en, weil ich es nicht ausschließ­en darf.

STANDARD: Bresnik arbeitet an einem Buch, es zeichnet Ihren Erfolgsweg nach, heißt „Die Dominic-ThiemMetho­de“. Können Sie diese Methode erklären? Thiem: Ich habe um einiges mehr gemacht als 99 Prozent der anderen Spieler. Ich habe viel mehr trainiert, auch außerhalb des Platzes gearbeitet. Ich habe das ganze Leben komplett dem Tennis untergeord­net – seit ich zwölf bin.

STANDARD: Gibt es Momente, denen Sie Tennis nervt? Thiem: Es nervt mich nie, aber es gibt Momente, da sagst du dir, heute habe ich keinen Bock. So geht es jedem Menschen. Ist man bei einem Turnier, ist man voll mit Adrenalin. Da merkst du die Müdigkeit nicht. Fliegst du extrem viel herum, löst der eine Jetlag den anderen ab, geht es auf die Psyche. In Europa fällt diese Belastung weg, jetzt beginnt meine Zeit.

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STANDARD: Sie erledigen die Medienarbe­it praktisch selbst, sind auf Facebook und Twitter aktiv, kommunizie­ren mit wildfremde­n

Ich will nicht dauernd Interviews geben, da wird man gläsern und uninteress­ant. Die Leute sollen meine Spielweise mögen.

Menschen. Was geben Sie preis, wo sind die Grenzen? Thiem: Es gehört zur heutigen Zeit, in den sozialen Netzwerken aktiv zu sein. Aber in den öffentlich­en Plattforme­n ziehe ich Grenzen, das Privatlebe­n bleibt eher tabu. Ich will nicht dauernd Interviews geben, da wird man gläsern und uninteress­ant. Es ist gut, sich rarzumache­n. Die Leute sollen mich wegen des Tennis mögen, meine attraktive Spielweise soll ihnen gefallen. Es ist mir schon ein Anliegen, auf dem Platz sympathisc­h rüberzukom­men, ohne mich zu verstellen.

STANDARD: Nehmen Sie die wachsende Popularitä­t wahr? Thiem: Ich war heuer sieben Tage zu Hause, bin daheim bei der Familie, und die kennen mich eh alle. Im Internet kriege ich das Interesse mit. Es belastet nicht. Es ist schön und eine Form von Verantwort­ung, wenn die Leute fürs Turnier in Kitzbühel Karten kaufen, nur um mich zu sehen.

STANDARD: Sie entscheide­n kurzfristi­g. Spielen Sie im Juli Daviscup in der Ukraine? Nehmen Sie an den Olympische­n Spielen teil? Thiem: Der Turnierkal­ender ist eng. Irgendwann muss man Pausen machen, aber jetzt sicher nicht. Ich fühle mich extrem fit. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.

STANDARD: Gibt es den perfekten Tennisspie­ler? Thiem: Das geht in dieser Sportart nicht. Im Skispringe­n gibt es den perfekten Sprung, fünfmal die Note 20, das ist das Optimum. Ein Tennismatc­h wird fast immer durch Fehler entschiede­n. Wer weniger macht, gewinnt.

STANDARD: Wurden Sie im Lauf der Zeit geduldiger? Thiem: Auf jeden Fall, das macht die Erfahrung aus. Die ist ein wichtiger Faktor. Man kennt immer mehr Wege, Matches zu entscheide­n. Schlecht zu spielen und trotzdem zu gewinnen macht durchaus Sinn. Von 2011 bis Ende 2013 ging es mir fast zu langsam, der Umstieg von den Junioren war zäh. Seit zweieinhal­b Jahren geht alles sehr schnell. Verblüffen­d schnell.

STANDARD: Sie stammen zwar nicht aus armen Verhältnis­sen, aber immerhin haben Ihre Großeltern eine Wohnung verkauft, um Ihnen die Karriere zu ermögliche­n. Denken Sie oft daran? Thiem: Ja, manchmal. Ich bin extrem froh, dass es so ausgegange­n ist. Es wäre leichter gewesen, es nicht zu schaffen. Meine Familie hätte mich im Falle des Scheiterns aber genauso gerne gehabt. Deshalb hab ich nie einen speziellen Druck von außen verspürt.

STANDARD: Die längst erreichte finanziell­e Sicherheit muss aber schon eine Befreiung sein, oder? Thiem: Ja. Verlierst du auf Challenger-Ebene, bist du in einer Scheißsitu­ation. Ans Geld habe ich aber nie gedacht. Wer ans Geld denkt, schafft es nicht. Es ist beruhigend, dass man sich den Physiother­apeuten, den Trainer locker leisten kann. Man kann sich die gesunden Lebensmitt­el kaufen, auch wenn sie teurer sind.

STANDARD: Leben Ihren Traum? Thiem: Ja, ich denke schon.

Sie momentan

DOMINIC THIEM (22) stammt aus Lichtenwör­th in Niederöste­rreich. Er stieg 2011 in die ATP-Tour ein, der Rechtshänd­er gewann bisher fünf Turniere. 2015 drei (Nizza, Gstaad, Umag – alle auf Sand), heuer bereits zwei (Buenos Aires – auf Sand, Acapulco – auf Hartplatz). In der Weltrangli­ste liegt er auf Rang 15, im März war er die Nummer 13. Thiem, der schon 2,8 Millionen Dollar Preisgeld eingespiel­t hat, wird von Günter Bresnik trainiert.

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Dominic Thiem möchte in der Gegenwart die Faust ballen. Auf den Faktor Zeit verlässt er sich nicht.

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