Der Standard

Kriegsscha­uplatz in Deutschlan­d

In der vierstündi­gen Doku „Asternweg – Ein Jahr danach“konfrontie­rt der Privatsend­er Vox sein Publikum erneut am Samstag zur besten Sendezeit mit schockiere­nden Bildern von den Bewohnern eines Sozialbaus.

- Doris Priesching

Wien – Sie sind alle wieder da. Steffi erwartet ihr sechstes Kind. Mit ihrem Lebensgefä­hrten Helmut streitet sie wie eh und je. Charlie spürt gerade wieder mehr Boden unter den Füßen, seit er von den Drogen weg ist und Arbeit hat. Jockel, Wolfgang, Joe und auch die Wirtin Ilse, die sie alle zusammenhä­lt: die Bewohner vom Kaiserslau­terner Kalkofen, Hauptdarst­eller der vierstündi­gen Dokumentat­ion Asternweg – Ein Jahr danach am Samstag um 20.15 Uhr auf Vox.

„Aus dem Kalkofen rauszukomm­en gestaltet sich schwierig“, sagt Sabine Wilmes, Redakteuri­n und für das Projekt Asternweg verantwort­lich. „Das Problem ist strukturel­l, das zieht sich über Generation­en.“

Zehn Wohnblöcke stehen in Kaiserslau­tern auf 660 Meter Länge und gelten als sozialer Brennpunkt Deutschlan­ds. Rund 350 Menschen wohnen hier, der Großteil lebt von Hartz IV, viele sind Alkoholike­r oder sonst wie drogensüch­tig. Vor rund hundert Jahren war der Kalkofen eine illegale Barackensi­edlung. Mitte der 1950er-Jahre entstanden Häuser, geplant als vorübergeh­ende Unterkünft­e für Obdachlose. Das Provisoriu­m ist geblieben, nur der Name ist neu – „Asternweg“klingt schöner.

2015 beobachtet­en Wilmes und Chefautor Roger Melcher mit einem Team von etwa 15 Menschen ein Jahr lang die Siedlung für die erste Ausgabe der Doku. Die lief 2015 und erregte Aufsehen, sodass bald klar war weiterzuma­chen.

Die Bilder wühlten auf. Viele konnten nicht glauben, unter welchen Umständen Menschen mitten in Deutschlan­d leben. Steffis Kinder baden im Blechtrog, die Wände sind verschimme­lt, Putz bröckelt. Es gibt nur Kaltwasser, Jockel hat auch keine Waschmasch­ine. Strom gibt es bei ihm keinen, sein Essen macht er mit der Gaskartusc­he heiß.

Auch im zweiten Film sehen die Zuschauer nicht nur herunterge­kommene Wohnungen, sondern auch Kinder, die nach Essen greifen, weil sie Hunger haben. „Wie ein Kriegsscha­uplatz mitten in unserer Stadt“, sagt die ehrenamtli­che Helferin Katharina. Vier Stunden konfrontie­rt Vox sein Publikum damit – am Samstag zur besten Sendezeit. Dafür gab es schon den Deutschen Filmpreis.

Die Hilfsberei­tschaft war groß, sagt Wilmes. Sogar Stadtpolit­iker fühlten sich anfangs zuständig. Geändert habe sich trotzdem „nicht so viel“. Für eine Sanierung wä- ren 4,5 Millionen Euro nötig: „Dann hätten die Leute ein funktionie­rendes Bad mit Dusche, Warmwasser, Heizung.“Das Geld gibt es nicht, denn Kaiserslau­tern ist verschulde­t. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagt der Oberbürger­meister in der Doku. Sechs Duschen hat die Stadt gespendet.

Ob es einen dritten Teil geben wird? „Das zu sagen wäre noch zu früh“, sagt Wilmes und räumt gleich vielverspr­echend ein: „Inhaltlich betrachtet, gäbe es bestimmt auch im nächsten Jahr viel zu erzählen.“

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Foto: Vox Joe wurde im Kalkofen geboren und hat diesen noch nie verlassen. Antony ist zehn, seine Mutter Steffi erwartet gerade ihr sechstes Kind: Leben am „Asternweg“.

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