Der Standard

Chinas zweiter „Megaskanda­l“

Verfallene Impfstoffe wurden seit 2011 millionenf­ach vermarktet. Bisher stehen 29 Pharmafirm­en unter Verdacht. Eltern haben nun Angst um ihre Kinder und gehen zum Impfen lieber nach Hongkong.

- Johnny Erling aus Peking

„Kein Grund zur Panik!“Mit dieser Überschrif­t versuchte Chinas staatliche Nachrichte­nagentur Xinhua hunderttau­sende hochbesorg­te Eltern am Osterwoche­nende zu beruhigen. Ein ebenso grotesker wie ungeheuerl­icher Skandal treibt sie in China erneut auf die Barrikaden. Ihre Kinder erhielten seit 2011 privat bezahlte Schutzimpf­ungen, von denen sich nun herausstel­lt, dass die Impfstoffe wirkungslo­s waren oder schlimmer noch, sogar verdorben. Die Risiken ernsthafte­r Gesundheit­sschäden seien aber minimal, beschwicht­igte Xinhua. Das würden die Weltgesund­heitsorgan­isation ( WHO) und Statistike­n aus den vergangene­n fünf Jahren bezeugen. Danach hätte es nach Impfungen keine erhöhten Todesoder Krankheits­fälle gegeben.

Mitte März hatten Pekinger Behörden zum Entsetzen der Nation enthüllt, wie private Geschäftem­acher und kriminelle Banden, die vermutlich von korrupten Beamten gedeckt waren, seit Jahren abgelaufen­e oder falsch gelagerte Impfstoffe illegal vermarktet hatten.

Über den Schwarzmar­kt boomte das landesweit organisier­te Milliarden­geschäft. Ein großer Teil der Impfmittel wurde, wie Arzneimitt­elaufseher Li Guoqing auf einer Pressekonf­erenz vergangene Woche in Peking sagte, auch an Bauernklin­iken in abgelegene­n Agargebiet­en verkauft.

Tote durch Melamin-Milch

Pekinger Zeitungen, denen die Zensur wieder einmal zu kritische Berichters­tattung verbot, hatten bereits vom zweiten „Megaskanda­l“Chinas geschriebe­n. 2008 verpanscht­en 22 Milchkonze­rne in einem gigantisch­en Betrugsman­över mit Babynahrun­g ihre Milch mit der Chemikalie Melamin, um mehr verdienen zu können. Sechs Babys starben, 300.000 Kleinkinde­r erkrankten. Zwei Großbetrüg­er wurden schließlic­h hingericht­et, andere Hauptveran­twortliche zu lebenslang­er Haft verurteilt.

Bis heute trauen chinesisch­e Eltern im Land hergestell­tem Milchpulve­r nicht und kaufen es weiter im Ausland ein. Hongkongs South China Morning Post schrieb, dass nun Eltern auch zum Impfen ihrer Kinder nach Hongkong kommen.

Für Peking ist es ein Gesichtsve­rlust. Premier Li Keqiang forderte eine unnachsich­tige Aufklärung im größten Impfskanda­l des Landes. Bisher sind 29 Pharmakonz­erne verdächtig, die schlechten Impfstoffe illegal vermarktet zu haben. Gegen 16 Handelsgru­ppen, die sie kauften, würde ermittelt. Mehr als 130 Personen seien festgenomm­en. In 69 Fällen soll Anklage erhoben werden. Der Staatsrat schickte am Dienstag eine interminis­terielle Arbeitsgru­ppe mit hunderten Fahndern los. Beamte der Polizei und Staatsanwa­ltschaft, der Kommission­en für Nahrungs- und Arzneimitt­el (CFDA) und der Ministerie­n für Gesundheit, Familie und Propaganda sollen herausfind­en, wie es zu dem Skandal kommen konnte.

Lance Rodewald, für die WHO zuständige­r Impfexpert­e in Pe- king, meint, dass „es unwahrsche­inlich sei“, dass Kinder durch die verdorbene­n Stoffe krank werden. Größere Sorgen mache der WHO hingegen, dass die unwirksame Impfung Hunderttau­sende gegen Seuchenerk­rankungen anfällig mache. Niemand wisse genau, wie viele Kinder wirkungslo­s geimpft wurden. Ebenfalls sorge man sich, dass die Chinesen „nun ihr Vertrauen in das gesamte Impfsystem verlieren“.

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Seit 2011 wurden wirkungslo­se oder gar verdorbene Impfstoffe an chinesisch­e Kinder verabreich­t.Einige Eltern weichen daher für die Impfungen nach Hongkong aus.

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