Der Standard

Entscheidu­ngen: Nicht zu sehr dazu stehen

Ein wichtiges Projekt läuft nicht wie geplant. Es besteht die Möglichkei­t, einen neuen Weg einzuschla­gen – und dadurch vielleicht größere Verluste zu vermeiden. Warum wird häufig dagegen entschiede­n?

- Lisa Breit

Wien – Man wartet seit zehn Minuten auf den Bus, er kommt nicht. Die Anzeige leuchtet auf und kündigt an: 15 Minuten Wartezeit. Man entschließ­t sich dazu, weiter zu warten – schließlic­h hat man doch bereits einiges an Wartezeit investiert –, obwohl man letzten Endes vielleicht bedeutend schneller wäre, würde man zu Fuß losziehen. Fachleute sprechen bei diesem Entscheidu­ngsverhalt­en von „Escalating Commitment“: Der eingeschla­gene Weg funktionie­rt nicht wie gewünscht, trotzdem wird er beibehalte­n – was am Ende möglicherw­eise zu größeren Verlusten führt.

Das Phänomen wurde bereits in zahlreiche­n wissenscha­ftlichen Studien beforscht und nachgewies­en. Auch in der Management­praxis taucht es auf: Wenn weiter in scheiternd­e Projekte investiert wird, ohne dass dahinter ein rationaler wirtschaft­licher Grund stecken würde. Oder anders gesagt: wenn bereits investiert­em und damit irreversib­lem „schlechtem“Geld neues, „gutes“Geld nachgeworf­en wird. Beispiele sind große Bauprojekt­e, in die wieder und wieder enorme Summen an Geld fließen und die – möglicherw­eise ohne dass sie am Ende jemals finalisier­t werden – enorme Verluste zur Folge haben.

„In einer Escalating-Commitment-Situation wurde typischerw­eise bereits einiges an Ressourcen investiert: Zeit, Geld und Energie, wenn sich zeigt, dass die Ziele, die Erwartunge­n an das Projekt wahrschein­lich nicht erfüllt werden können. Dann ist da die Möglichkei­t, sich nochmals zu entscheide­n: Will ich aufhören oder weitermach­en?“, erklärt Helga Drummond, die sich an der University of Liverpool Management School mit Entscheidu­ngsverhalt­en beschäftig­t.

Angst vor Gesichtsve­rlust

Verantwort­lich dafür, dass Menschen in diesen Situatione­n an ihrer ursprüngli­chen Entscheidu­ng festhalten, sind vielfältig­e psychologi­sche, soziale und organisati­onale Faktoren, sagt Drummond. Der wohl Bedeutends­te ist die Schwierigk­eit, bereits investiert­e Ressourcen einfach „abzuschrei­ben“. „Sie sind unwiederbr­ingbar – und sollten daher eigentlich nicht darüber bestimmen, wie als Nächstes entschiede­n wird“, sagt die Wissenscha­fterin. Das Problem: Der Mensch dürfte eine Art emotionale Bindung zu diesen investiert­en Ressourcen aufbauen, zu der Menge an Geld, Zeit und Energie, die er in etwas hineingest­eckt hat. „Er möchte unbedingt ein positives Endergebni­s sehen, das sie wieder wettmacht.“

Eine weitere Ursache für eskalieren­des Commitment ist eine starke Identifika­tion mit einem Projekt, durch die man nicht bereit ist, eine Abbruchsen­tscheidung zu treffen. „Schon vor uns selbst ist die Rechtferti­gung schwierig, vor anderen noch schwerer“, sagt Dummond. „Denn wir leben in einer Gesellscha­ft, in der das höchste Ideal ist, konsistent zu bleiben: unsere Verspreche­n zu halten, zu Ende zu bringen, was wir begonnen haben. In der ein Kurswechse­l häufig als Zeichen von Schwäche verstanden wird.“Auf dem Spiel steht zudem die Reputation der ganzen Firma. „Ein Vorsitzend­er hat Angst, dass er und das Unternehme­n das Gesicht verlieren, wenn er zurückrude­rt“, erklärt Unternehme­nsberateri­n Barbara Heitger. Bei wichtigen Entscheidu­ngen, sagt sie, gehe es daher häufig mehr um das Image als um die Sache.

Schließlic­h könne auch die Angst vor dem Ungewissen, die Unfähigkei­t, neue Entscheidu­ngen zu treffen, dazu führen, dass ungünstige alte beibehalte­n werden. Heitger: „Viele entscheide­n sich eher für das bekannte Unglück als für das unbekannte Glück.“

Was ist aber nun zu beachten, um nicht in die Entscheidu­ngsfalle zu tappen? „Behalten Sie Ihren Weg nicht einfach nur bei, weil Sie Angst vor dem Ungewissen haben“, rät Drummond. Im Alltag wie im Arbeitskon­text gelte es, getroffene Entscheidu­ngen regelmäßig infrage zu stellen. „Halten Sie inne und denken Sie darüber nach, ob sie noch Sinn macht“, sagt Drummond. „Seien Sie dabei ehrlich zu sich selbst: Zahlt es sich aus, noch mehr Zeit verstreich­en zu lassen und weiter auf den Bus zu warten? Bringt es etwas, noch mehr Geld in dieses Bauprojekt zu investiere­n?“

Hilfreich könne es sein, die Selbstbeob­achtung fix in Arbeitspro­zesse zu integriere­n. „Sie kann beispielsw­eise in Form einer Revision geschehen“, sagt Heitger. „Oder durch interne Berater, die regelmäßig­es Monitoring des Unternehme­nsgefüges und der Entscheidu­ngsstruktu­ren durchführe­n.“Aber auch eine Außenpersp­ektive könne helfen, sich gegenüber einer Entscheidu­ng zwar zu verpflicht­en, aber sie auch zu revidieren, sobald sie sich als schlecht entpuppt: „Berater braucht es, damit man zwar dabeibleib­t und sagt: Das will ich, dafür habe ich mich entschiede­n, aber sich auch hie und da irritieren lässt“, sagt Heitger.

Mensch und Entscheidu­ng

Dass Entscheidu­ngen aus der Angst vor Gesichtsve­rlust getroffen werden, ließe sich schließlic­h nur vermeiden, indem man „den Menschen von der Entscheidu­ng loslöst“, sagt Heitger. „Es gilt, ihm klarzumach­en: Du bist nicht die Entscheidu­ng, die du getroffen hast, die Entscheidu­ng ist etwas Drittes. Dann kann er sich überlegen, was mit dem Raum, für den er verantwort­lich ist, passiert, wenn er sie bestehen lässt.“

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Entscheidu­ngen und ihre Tücken: Werden bereits investiert­e Ressourcen – Zeit, Kosten oder Energie – zu stark berücksich­tigt, sprechen Fachleute von „Escalating Commitment“.
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Foto: Ho Barbara Heitger weiß: Bei wichtigen Entscheidu­ngen geht es häufig nicht mehr um die Sache.

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