Der Standard

Hochmodern, messerscha­rf und wirkungslo­s

Bulgarien arbeitet an der Verlängeru­ng des Grenzzauns zur Türkei, um den Zustrom von Flüchtling­en aufzuhalte­n. NGOs berichten über Rückschieb­ungen und Gewalt durch die Grenzpoliz­ei.

- Kim Son Hoang aus Malko Tarnovo

Kein Herumreden um den berühmten heißen Brei, keine Euphemisme­n mit Seitenteil­en: Hier war der Zaun von Anfang an ein Zaun. Hier, das ist am bulgarisch-türkischen Grenzüberg­ang Malko Tarnovo-Dereköy – am südöstlich­sten Ende der Europäisch­en Union. Das bedeutet Ende Jänner nicht nur haufenweis­e Schnee und frostigen Wind, sondern auch eine eisige Wand des Schweigens. Die Grenzpoliz­ei gibt keine Auskunft, Fotografie­ren ist theoretisc­h auch verboten, nur ein paar räudige Hunde sorgen für etwas Leben auf der Gebirgsstr­aße. Und so dominiert das dreieinhal­b Meter hohe metallene Maschendra­htgebilde, ausgiebig verziert mit dem messerscha­rfen Nato-Stacheldra­ht, die Szenerie.

293 Kilometer, 90 Meter und 70 Zentimeter: Exakt diese Länge hat laut Behörden die bulgarisch-türkische Grenze. Mit dem ersten drastische­n Anstieg der Flüchtling­szahlen im Jahr 2013 hat Bulgarien in aller Eile mit dem Zaunbau begonnen und Soldaten an der Grenze stationier­t. Einer davon patrouilli­ert in Malko Tarnovo, direkt am zweiten Teil der doppelten Zaunanlage. Mit grünem Helm, Gesichtssc­hutz und Maschineng­ewehr hat das schon etwas Beängstige­ndes an sich. Doch die Flüchtling­e lassen sich davon kaum aufhalten.

„Dieser Zaun ist ein Scherz“

„Dieser Zaun ist im Vergleich zu dem an der griechisch-türkischen Grenze ein Scherz“, sagt Iliana Savova, Leiterin des Bulgarisch­en Helsinki-Komitees, „niemand lässt sich dadurch stoppen.“Die Menschenre­chtsorgani­sation beobachtet seit zwölf Jahren das Verhalten der Behörden an der EU-Außengrenz­e. Und in der Tat sind trotz Zauns die Flüchtling­szahlen in Bulgarien drastisch gestiegen. 6500 Übertritts­versuche konnten 2015 verhindert werden, doch sind 27.000 Flüchtling­e von der Türkei nach Bulgarien gelangt – ein Jahr davor waren es noch etwa 4000.

Dabei ist man doch in Bulgarien so stolz auf den Grenzzaun. Schließlic­h verfügt man als ärmstes Land der EU über eine hochmodern­e Anlage mit Bewegungsm­eldern, Bodenradar und Wärmebildk­ameras – bislang aber halt nur über eine Länge von knapp 30 Kilometern. Wenn er dann mal fertig ist, soll der Grenzzaun 160 Kilometer lang sein. Bis dahin aber ist es ein Leichtes, ins Land zu kommen. „Der Rezovo-Fluss ist derzeit nur bis zu 15 Zentimeter tief. Das wissen die Schlepper“, nennt Sevdalina Gradeva eine von mehreren Übertritts­möglichkei­ten.

Die Caritas-Mitarbeite­rin kennt sich hier im Grenzgebie­t aus. Eigentlich kümmert sie sich in dem 3000-Einwohner-Ort Malko Tarnovo um die Krankenpfl­ege, doch nebenbei versucht sie auch den aufgegriff­enen Schutzsuch­enden zu helfen. Diese werden 24 Stunden in einer ehemaligen Kaserne in Malko Tarnovo untergebra­cht, bis sie ins Verteilung­szentrum nach Elhovo gebracht werden. Je nachdem, ob um Asyl angesucht wird oder nicht, geht es dann in eines der sechs Asylzentre­n oder in eine der beiden Abschiebee­inrichtung­en in Lybimets oder Busmantsi in Sofia.

Sevdalina Gradeva macht den Eindruck einer durchsetzu­ngsstarken Frau – ohne sie wäre eine Inspektion des Grenzzauns überhaupt nicht möglich gewesen. Sie hat damit zu kämpfen, dass sie wie alle anderen auch keinen Zugang zur Einrichtun­g in Malko Tarnovo erhält und die Behörden offiziell keine Sachspende­n annehmen dürfen. Doch immerhin hat Gradeva die Grenzpoliz­ei so weit, dass sie – inoffiziel­l – angerufen wird, wenn wieder Flüchtling­e aufgegriff­en wurden, damit sie sie mit dem Notwendigs­ten versorgt – Medikament­e, Lebensmitt­el, Kleidung. Ihr Ziel ist es, irgendwann einmal als offizielle­r Partner der Behörden anerkannt zu werden.

„Größtes Verbrechen der Polizei“

Die Flüchtling­e, findet Gradeva, werden abgesehen davon von den Behörden gut behandelt, vor allem die Kinder. Damit widerspric­ht sie den Berichten zahlreiche­r NGOs wie Human Rights Watch oder eben das Helsinki-Komitee. Iliana Savova spricht vom „größten Verbrechen der Grenzpoliz­ei“: Rückschieb­ungen in die Türkei. „Oft wird die türkische Grenzpoliz­ei angerufen, die die Flüchtling­e dann abholt“, erklärt Savova. Auch Gewalt werde gegen die Schutzsuch­enden eingesetzt, im vergangene­n Jahr hat sie 24 derartige Fälle registrier­t.

Auf dem Weg durch den Wald hinab vom Grenzüberg­ang nach Malko Tarnovo dröhnen die Bagger, neben der Straße liegt genügend Material bereit, um den neuen Grenzzaun zu erweitern. Wer will, kann sich an den vielen Rollen vergewisse­rn, wie scharf der Nato-Stacheldra­ht tatsächlic­h ist. An anderer Stelle sind noch Teile des alten Grenzzauns zu sehen, der aus dem Kalten Krieg stammt – harmlos aussehende­r knapp zwei Meter hoher Stacheldra­ht. Im Ort selbst essen vier Soldaten in einem Restaurant zu Mittag. Gut gelaunt lassen sie sich zu einem Foto überreden. Nur über die Arbeit, über die wollen sie nicht reden. Ein Teil der Reisekoste­n wurden von Sponsoren der Caritas übernommen.

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„Schon willkommen in Bulgarien!“(sic!) steht neben dem Grenzzaun geschriebe­n.

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