E es Gewissens
NachzeichnungN des Lebens von Edith Tudor-Hart (1908–1973) zeigt, onierte.o Die Gründe dafür waren vielfältig, im Finanziellen lagen sie nicht.
tigkeit in Wien verhaftet worden war, ging sie mit ihrem englischen Ehemann Alexander Tudor-Hart, den sie 1933 geheiratet hatte, wieder nach London. 1934 schoss Edith im Regent’s Park das berühmte Foto von Kim Philby, nachdem sie ihn zu Arnold Deutsch geführt hatte, der ihn für den sowjetischen Geheimdienst anwarb.
1936 kam ihrer beider Sohn Thomas zur Welt, der aufgrund seiner psychischen Krankheit zu einer schweren Belastung für Edith werden sollte. Alexander verließ die Familie, engagierte sich als Arzt im Spanischen Bürgerkrieg auf republikanischer Seite, ließ über ein Jahr nichts von sich hören und kehrte dermaßen traumatisiert zurück, dass die Ehe in die Brüche ging. Bis zum frühen Tod seiner Exfrau kümmerte er sich nicht mehr um ihren gemeinsamen Sohn.
In London, den Industrieregionen und Schiffswerften Nordenglands und den Kohlegruben von Südwales hatte Edith ihre fotografische Arbeit wiederaufgenommen, bis sie aufgrund ihrer Agententätigkeit bzw. ihrer Hilfe für Rekrutierungen von Spionen für die Sowjetunion mehrmals verhört wurde und psychisch wie physisch in Bedrängnis kam. In einem Anfall von Panik verbrannte sie sämtliche in der Wohnung hinter einem Spiegel versteckten Fotos und Negative.
Wie viele Adressen hatte sie im Verlaufe ihres Lebens! In dem Jahrzehnt nach ihrem eingangs erwähnten Zusammenbruch Anfang der 50er-Jahre und nachdem sie Hals über Kopf die Wohnung in den Grove End Gardens verlassen hatte, war sie neunmal umgezogen. Als sie im Frühjahr 1962 ein winziges Haus in Brighton bezog, um fortan als Antiquitätenhändlerin zu leben, hatten Jahre des Umherirrens ein Ende.
Doch der Schein trog, auch hier holte sie die Vergangenheit ein. Nach der Enttarnung von Kim Philby, der nach Moskau flüchtete, wurde sie um fünf Uhr früh von Männer des Special Branch aufgesucht. Wieder einmal wurde ihre Wohnung auf den Kopf gestellt, Schreibtisch, Schränke, Kommoden und Bücherregale untersucht und durchwühlt. Sie wurden nicht fündig; all das, was von ihrem Beruf als Fotografin zeugte, hatte sie längst ihrem Bruder Wolf übergeben (ihr Nachlass, an die 5.000 Negative, befindet sich nun in einem Archiv der National Galleries of Scotland in Edinburgh).
Als Edith sie zur Rede stellte und wissen wollte, mit welchem Recht sie an einem Wintermorgen so früh behelligt werde, sagten ihr die Männer, es sei eine Routineüberprüfung. Möglicherweise dachten sie, Kim könnte sich bei ihr versteckt halten, denn zu dieser Zeit wussten MI5 und MI6 noch nicht, wohin er sich abgesetzt hatte.
Das letzte von ihr aufgenommene und mir bekannte Foto von Edith stammt aus dem Jahr 1957. Es zeigt einen schnauzbärtigen, Zigaretten rauchenden Zeitungsverkäufer en face; er sitzt auf einer Holzkiste vor einer Auslage, dahinter bequeme, gepolsterte (!) Stühle, und das Glas gibt als matter Spiegel die Fotografin wieder. Sie trägt eine helle Bluse und blickt von oben auf den Sucher ihrer Rolleiflex, die sie mit beiden Armen in der Höhe zwischen Brust und Bauch fixiert, um dann auf den Auslöser zu drücken.
Beste Motive
Ihr Bruder Wolf gab im Jahre 1986 ein schmales Buch mit einer Auswahl ihrer Fotografien heraus, das längst vergriffen ist. Titel: Das Auge des Gewissens. Eine treffende Einschätzung der Arbeit seiner Schwester als Fotografin.
Aber wie konnte sie, vor allem in den späteren Jahren, da die Verbrechen Stalins längst bekannt waren, noch immer Kommunistin sein? Dies mit ihrem Gewissen vereinbaren? – Im Zuge seiner Recherchen trifft Jungk auf Vermittlung von Wolfs Sohn Peter Suschitzky, Kameramann von David Cronenberg, mit dem einstigen, 1922 in Berlin geborenen Fotografen und späteren Erfinder radiosynchronisierter Uhren, Herbert Freudenheim, zusammen.
Er kannte Edith sehr gut, und im Verlaufe des Gesprächs äußert er sich folgendermaßen: „Willst du Edith an den Pranger stellen? Wir wollten den Faschismus besiegen, Edith hat aus edelsten Beweggründen für den Sieg des Kommunismus gekämpft. (…) Die Kommunisten waren doch die Einzigen, die erhobenen Hauptes gegen die Nazis einschritten, die Einzigen, die nicht kuschten. Wir hatten die besten Motive. Und natürlich – man ließ sich leicht verführen. Aber verstehe doch bitte: Es gab keine Alternative. Wir waren die ‚génération perdue‘ …“
Spät, aber doch kehrte eine Auswahl ihrer Fotos in ihre Geburtsstadt zurück. Die Schau, die schon in Edinburgh gezeigt wurde, trug den Titel Im Schatten der Diktaturen. Als Ediths Bruder Wolf Suschitzky, der eben seinen 101. Geburtstag gefeiert hatte, am Abend des 25. September 2013 anlässlich der Eröffnung der Schau das Rednerpult im Wien-Museum betrat, hätte man eine Stecknadel fallen hören: „Wie traurig, dass Edith das nicht mehr erleben konnte. Aber was heute hier geschieht, ist so etwas wie ein Homecoming für meine Schwester.“
Er beendete seine kurze Rede mit den Worten: „Sie war es, die mich zur Fotografie überredete, mehr noch … verführte. Und sie war es, die mich und unsere Mutter gerettet hat, indem sie uns nach England brachte.“
Peter Stephan Jungk, „Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart. Geschichten eines Lebens.“€ 23,70/320 Seiten. S. Fischer, Frankfurt 2015
Richard Wall, geb.1953, lebt in Au bei Katsdorf und im Waldviertel. Literarische, malerische, grafische und fotografische Arbeiten. Zuletzt erschien von ihm bei Löcker der Prosaband „In der Leere das Sitzen in der Drift der Tage“.