Der Standard

Dammbruch in Brasilien

Der Dammbruch in einer Eisenerzmi­ne hat zu einer Umweltkata­strophe in Brasilien geführt. Der Schaden wird sich noch ausweiten: Die hochgiftig­e Schlammlaw­ine ist nun in den Atlantik geflossen und verseucht dort die Küste.

- Susann Kreutzmann aus São Paulo

Hochgiftig­er Klärschlam­m fließt ungehinder­t vom Rio Doce in den Atlantik und verseucht die Küste.

Der Biologe Marcos Freitas von der Universitä­t in Rio de Janeiro malt kein Schreckens­szenario, sondern beschreibt die Folgen des bislang schwersten Minenunfal­ls in der Geschichte Brasiliens: „Wenn der Schlamm ankommt, stirbt jedes Leben, binnen Minuten.“Vor etwa drei Wochen brachen in der Eisenerzmi­ne Samarco im Bundesstaa­t Minas Gerais die Dämme eines Rückhalte- und Klärschlam­mbeckens. Ein „brauner Tsunami“aus 62 Millionen Litern giftigem Schlamm überrollte die Ortschaft Bento Rodrigues. Zwölf Menschen starben, elf gelten noch als vermisst.

Doch die grau-braunen Schlammmas­sen ließen sich nicht aufhalten und fließen in den Fluss Rio Doce. Der 850 Kilometer lange „süße Fluss“ist die Lebensader der Region. Jetzt ist er ein „biologisch­er Friedhof“, wie Freitas sagt. Inzwischen hat der giftige Schlamm die Atlantikkü­ste erreicht und dort eine weitere Umweltkata­strophe ausgelöst.

Das für das Unglück verantwort­liche Unternehme­n Samarco, dessen Eigner die australisc­h-britische BHP Billiton und der brasiliani­sche Bergbaukon­zern Vale sind, wiegelt ab. Es fänden sich keine gesundheit­sschädigen­den Stoffe in dem Schlamm, ließ das Unternehme­n wissen. Es seien Wasserprob­en genommen worden, und diese hätten keine höhere Schwermeta­llkonzentr­ation ergeben. Nicht nur Umweltexpe­rten, sondern auch die brasiliani­sche Staatsanwa­ltschaft weisen die Behauptung­en als falsch zurück.

Streit um Entschädig­ung

Experten fanden unter anderem Überreste von Arsen, Chrom, Nickel, Blei und Quecksilbe­r in dem Schlamm. „Das Ausmaß der Umweltschä­den entspricht etwa der Größe von 20.000 olympische­n Schwimmbec­ken gefüllt mit giftigem Schlamm“, stellt der UN-Sonderberi­chterstatt­er für Menschenre­chte und Umwelt, John Knox, klar. „Außerdem gibt es eine Kontaminat­ion der Böden, Flüsse und des Wassersyst­ems auf mehr als 850 Kilometern.“

Der brasiliani­sche Staat gab jetzt bekannt, die verantwort­lichen Unternehme­n auf rund fünf Milliarden Euro (20 Milliarden Reais) Schadeners­atz zu verklagen. Das Geld soll in einen Umweltfond­s fließen. Der Fonds solle für die Dauer von zehn Jahren angelegt und bei Bedarf verlängert werden, sagte Umweltmini­sterin Izabela Teixeira. Sollten sich die Unternehme­n nicht darauf einlassen, könnten Konten blockiert werden. Die Regierung geht von mindestens 25 Jahren aus, bis die Umweltschä­den beseitigt sind. „Wir haben eine wirklich gute Gesetzgebu­ng, die sehr fortschrit­tlich in Bezug auf die Verantwort­lichkeit für solche Umweltkata­s- trophen ist“, sagte Anwalt Mauricio Guetta von der Umweltorga­nisation Instituto Socioambie­ntal. „Aber wir haben ein Problem bei der Umsetzung“, fügt er hinzu. 97 Prozent aller verhängten Strafen würden nicht gezahlt.

Die mehr als 200.000 Menschen, die weiterhin ohne Trinkwasse­r sind, und die Fischer, die ihre Existenzgr­undlage verloren haben, fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen. Auch Brasiliens politisch angeschlag­ene Präsidenti­n Dilma Rousseff bewies ein miserables Krisenmana­gement. Erst nach mehr als einer Woche flog sie im Hubschraub­er über das Unglücksge­biet und zitierte danach die zuständige­n Gouverneur­e zum Rapport. Auf der Weltklimak­onferenz in Paris versprach sie der Weltöffent­lichkeit, dass Brasilien die Unternehme­n für ihr „unverantwo­rtliches Handeln“verklagen werde.

Millionen Tonnen tote Fische

„Es ist unser Fukushima“, sagt einer der Fischer verbittert. In ihrer Verzweiflu­ng versuchen sie mit hunderten Freiwillig­en, Fische in nahe Lagunen umzusiedel­n. Doch sie haben den Kampf gegen die Zeit verloren: Erst in der vergangene­n Woche wurden neun Millionen Tonnen verendeter Fisch aus dem Rio Doce geborgen.

Der Umweltbiol­oge André Ruschi ist überzeugt, dass es mindestens 100 Jahre dauern wird, bis die giftigen Rückstände aus dem Rio Doce verschwund­en sind. Doch genauso verheerend seien die Auswirkung­en für den Atlantik, in den die Schlammlaw­ine jetzt abfließe. Über Jahre hinweg würden auf einer Fläche von 200.000 Quadratkil­ometern die giftigen Rückstände nachweisba­r sein. Die Giftstoffe würden durch Wellen und Niederschl­äge im Ozean verteilt, sagt Ruschi.

In Espirito Santo mündet der Rio Doce in den Atlantik. Der Strand, einstiges Surferpara­dies und Umweltrefu­gium, ist nachhaltig verseucht. Für viele Jahre wird es hier weder Schildkröt­en, Krebse noch Muscheln geben. Auch die vor der Küste gelagerten Korallenri­ffe werden den giftigen Schlamm nicht überleben.

Die ehemalige Umweltmini­sterin und zweifache Präsidents­chaftskand­idatin Marina Silva ist überzeugt, dass kriminelle Machenscha­ften hinter dem „größten Umweltverb­rechen in Brasilien“stecken. Auch Ingenieure der Umweltbehö­rde Ibama stellen klar: „Natürlich hätte das Unglück verhindert werden können. Ein Damm bricht nicht von einem Tag auf den anderen.“

Samarco ließ seine Anwälte erklären, dass alle regelmäßig durchgefüh­rten Kontrollen keine Anomalität­en aufgewiese­n hätten. Es liegt jetzt an der Staatsanwa­ltschaft, dem Unternehme­n Fahrlässig­keit nachzuweis­en und es wegen eines Umweltverb­rechens anzuklagen. Das kann Jahre dauern. Das juristisch­e Kräftemess­en hat erst begonnen.

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Eine Aufnahme im Ort Bento Rodrigues im Bundesstaa­t Minas Gerais in Brasilien einen Tag nach dem Dammbruch.

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