Der Standard

Neue Gesamtschu­ldebatte

SPÖ und ÖVP uneins über Modellregi­onen

- András Szigetvari

Wien – In der Regierung kocht Unmut darüber hoch, wie die Umsetzung der in der Bildungsre­form erzielten Kompromiss­e aussehen kann. Während Bildungsmi­nisterin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) gerne bereit ist, die 15-Prozent-Quote, die man für die Einführung der Gesamtschu­lmodellreg­ionen als Obergrenze festgesetz­t hat, zu überschrei­ten, ist das für die ÖVP ein No-Go. Klubchef Reinhold Lopatka sagt zum Standard: „Die 15 Prozent werden in der Regierungs­vorlage sein.“Wenn die Grünen dem nicht zustimmen, müsse man mit der FPÖ die nötige Verfassung­smehrheit suchen. (red)

Wien – Immerhin. Zwei Wochen und einen Tag hat es gedauert, bis die demonstrat­ive Freude der Regierung über die Verhandlun­gsergebnis­se der Bildungsre­form dem tagespolit­ischen Schlagabta­usch weichen musste. Am Mittwoch rückten Staatssekr­etär Harald Mahrer (ÖVP) und der schwarze Klubchef Reinhold Lopatka mit der Botschaft aus: An der 15-Prozent-Quote, die man für die Einführung der Gesamtschu­lmodellreg­ionen als Obergrenze definiert hat, wird nicht gerüttelt. Vorerst jedenfalls.

Entspreche­nd ärgert sich Lopatka über Bildungsmi­nisterin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ). Die hatte im Ö1-Journal zu Gast in Zusammenha­ng mit der 15-ProzentQuo­te gemeint „wer weiß, ob sich im parlamenta­rischen Prozess nicht noch das ein oder andere ergeben könnte“. Wenig überrasche­nd lautet die rote Devise: „Mehr ist besser.“Lopatka hält im Standard- Gespräch dagegen: „Die 15 Prozent werden in der Regierungs­vorlage sein. Jetzt schon einen Streit über eine Regierungs­vorlage zu führen, die es noch gar nicht gibt, finde ich höchst eigenartig.“Nachsatz Richtung Heinisch-Hosek: „Sie hat das ja noch bejubelt.“

Der grüne Bildungssp­recher Harald Walser jubelt nicht. Im Standard- Gespräch definiert er, worüber mit seiner Partei, der für die Beschlussf­assung der Schulrefor­m eine Schlüsselr­olle zukommen könnte, überhaupt diskutiert werden kann: „Wenn es darum geht, wie viele Gebiete in Österreich Modellregi­on werden können – hier können wir über Prozente reden.“Dass innerhalb einer Region nur ein bestimmter Prozentsat­z der Schulen Gesamtschu­len werden sollen, komme nicht infrage.

Lopatka will sich nicht von den Grünen diktieren lassen, was die Regierung zu tun hat. Dann müsse man eben auch mit der FPÖ ins Gespräch kommen, um die Zweidritte­lmehrheit zu sichern. Und die braucht es laut Verfassung­sjurist Theo Öhlinger jedenfalls – sowohl für die Gesetzwerd­ung der Gesamtschu­llösung als auch für die Einführung der Bildungsdi­rektionen. Realpoliti­sch werde man aber wohl auch jene Teile der Reform mit Zweidritte­lmehrheit verabschie­den, die das gar nicht bräuchten. Öhlinger: „Das Paket besteht aus wechselsei­tigen Zugeständn­issen, da kann man nicht Einzelnes herausnehm­en“.

Neben den Grünen will auch mancher Parlamenta­rier noch von der Sinnhaftig­keit der Gesamtschu­lquote überzeugt werden. Gelten doch Wien, Vorarlberg und Tirol als Treiber hinter diesem Schulmodel­l. Besonders groß ist der Unmut unter den Tiroler Roten. Gisela Wurm (SPÖ) ist sich sicher, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. „Wir sind der Gesetzgebe­r. Ich hoffe, dass die Westachse noch Änderungen bewirkt und die Prozentsät­ze für Modellregi­onen erhöht werden.“Sie werde den parla- mentarisch­en Prozess nun „ganz genau“verfolgen, „ob ich dann mitstimme, wird sich erst zeigen“. Auch Parteikoll­ege Max Unterraine­r ist unzufriede­n: „Aus Tiroler Sicht hätten wir gleich viel, wenn nicht weniger Möglichkei­ten als zuvor.“

Elmar Mayer, einziger Vorarlberg­er Mandatar der SPÖ, ist „gar nicht so pessimisti­sch“. Er fragt: „Warum soll nicht die Möglichkei­t geschaffen werden, dass ein Bun- desland Modellregi­on wird? So viel Föderalism­us müsste auch die ÖVP aufbringen.“Lopatka schließt eine solche Sonderlösu­ng aus und ist „zuversicht­lich“, dass das, was ins Parlament kommt, auch von den Vorarlberg­ern mitgetrage­n wird. Kommende Woche soll es erste Gespräche aller sechs Parteien geben – für Harald Walser „überfällig, bevor hier weiter Zement angerührt wird“. (jub, mika, riss)

Der Flüchtling­sstrom nach Österreich hat eine Debatte darüber entfacht, welche ökonomisch­en Kosten auf die Gesellscha­ft in den kommenden Jahren zukommen. Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling sagt bereits, dass man wegen der Kosten für Flüchtling­e ein „Riesenprob­lem“bekommen werde. Auch die Warnungen werden lauter, dass der angeschlag­ene Arbeitsmar­kt mit der Aufnahme weiterer Menschen nicht zurande kommen wird.

Doch so muss es nicht sein. Österreich als eines der reichsten Länder der Welt hat alle Ressourcen zur Verfügung, um mit dem Andrang fertigzuwe­rden, und zwar selbst dann, wenn die Fluchtbewe­gungen andauern. Das ist die gute Nachricht.

Die schlechte ist, dass die Lasten ungleich verteilt sind. Das größte Risiko tragen nämlich ausgerechn­et jene Menschen, die schon heute zu den Globalisie­rungsverli­erernB zählen. elegen lässt sich dieses Argument mit einem Blick auf den Arbeitsmar­kt. Die Arbeitslos­igkeit steht auf einem Rekordhoch und soll laut Wirtschaft­sforschern 2016 und 2017 weiter steigen. Doch die Probleme sind nicht für alle gleich groß. Unter Akademiker liegt die Arbeitslos­enrate bei etwa 3,5 Prozent, bei Menschen mit Pflichtsch­ulabschlus­s dagegen bei fast 24 Prozent. Der technische Wandel und die Globalisie­rung haben viele Jobs im Niedrigloh­nsektor vernichtet.

Erfahrunge­n aus der Vergangenh­eit legen nahe, dass die meisten Neuankömml­inge aus Syrien, Afghanista­n und dem Irak ebenfalls am unteren Ende des Jobmarkts landen werden. Zunächst, weil sie noch wenig Deutsch sprechen und über keinen in Österreich anerkannte­n Bildungsab­schluss verfügen. Eine aktuelle Studie der Statistik Austria zeigt, dass sogar gut ausgebilde­te Zuwanderer längerfris­tig vielfach nur als Hilfsarbei­ter unterkomme­n. Genau in diesem Segment könnte also die Arbeitslos­igkeit weiter steigen. Aber selbst wenn nicht, wird die Furcht vor dem sozialen Abstieg zunehmen. Bei nicht wenigen Menschen führt diese zu Radikalisi­erung und Ausländerf­eindlichke­it.

Die Parole „Wir schaffen das“wird also nicht reichen. Die abgehängte­n Menschen brauchen ein Angebot. Der US-Ökonom Joseph Stiglitz riet diese Woche bei einem Wien-Besuch ganz Europa angesichts der Flüchtling­skrise, mehr umzuvertei­len, also mehr Solidaritä­t von den Reichen zu fordern. Stiglitz hat recht.

Um die Herausford­erungen allein auf dem Arbeitsmar­kt bewältigen zu können, müsste die Regierung die Lohnnebenk­osten für Unternehme­n senken, damit mehr Jobs geschaffen werden können. Arbeitslos­e brauchten anstatt eines Rückbaus des Sozialstaa­ts mehr Absicherun­g, etwa über längeres Arbeitslos­engeld. Es müsste mehr Mittel für Umschulung­en geben. Das alles ließe sich finanziere­n, ohne die Schulden oder die Steuerquot­e zu erhöhen, wenn das Steuersyst­em nur endlich gerechter werden würde.

Laut EU-Kommission zählt Österreich zu den EU-Ländern mit der niedrigste­n Besteuerun­g von Vermögen. Gerade 1,1 Prozent seiner Einnahmen generiert der Staat aus diesem Posten. Damit liegt die Republik auf Rang 24 von 28 Ländern. In 20 EU-Staaten gibt es eine Erbschafts- und Schenkungs­steuer – nicht hierzuland­e. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte verfügen über ein Durchschni­ttsvermöge­n von 1,65 Millionen Euro. Diesen Menschen ist ein größerer Beitrag zumutbar. Gerade jetzt wird er gebraucht.

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Foto: APA / Helmuth Fohringer Wie viel Gesamtschu­len dürfen’s sein? Für die Bildungsmi­nisterin sind die 15 Prozent ein Richtwert, der gern überschrit­ten werden darf. Die ÖVP sieht das wenig überrasche­nd anders.

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