Der Standard

Zwei Tage Lesemarath­on im Waldvierte­l

Christoph Hein (71) war an diesem Wochenende Ehrengast von „Literatur im Nebel“im Waldviertl­er Heidenreic­hstein. Hein, einst wichtigste literarisc­he Stimme der DDR, warnt in seinen Romanen, Essays und Dramen vor politische­r Willkür und Intoleranz.

- Frau Paula Jannings & Tilla.

Heidenreic­hstein – Ein Literaturf­estival, das die wenig einladende Wettervorh­ersage „Nebel“im Titel trägt; dazu noch ein doch recht entlegener Veranstalt­ungsort, zwei Stunden außerhalb Wiens im nördlichen Waldvierte­l; keinerlei Eventschni­ckschnack drumherum, sondern zwei Tage jeweils fünf Stunden lang kompromiss­loses Eintauchen in das Werk eines einzigen Schriftste­llers: Als Rudolf Scholten (Ex-Kulturmini­ster und OeKB-Bankvorsta­nd), der Dichter Robert Schindel und der damalige Bürgermeis­ter von Heidenreic­hstein, Johann Pichler, die Idee zu „Literatur im Nebel“(LiN) gebaren, glaubten wenige an deren Realisieru­ng.

Doch dieses Wochenende feierte LiN in der Heidenreic­hsteiner Margithall­e zehnten Geburtstag, ohne Feuerwerk oder Nebelraket­en (der Nebel hatte sich, erst zum zweiten Mal in all den Jahren, tatsächlic­h über den Ort gelegt), aber wie immer vor ausverkauf­tem Hause: Sechshunde­rt Menschen pro Tag, viele seit 2006 Stammbesuc­her. Nach Salman Rushdie, Amoz Oz, Jorge Semprun, Magret Atwood, Hans Magnus Enzensberg­er, Nurudun Farrah, Ljudmilla Ulitzkaja, Louis Begley und Ian McEwan unternahm diesmal der deutsche Schriftste­ller Christoph Hein, unbestechl­icher Beobachter von Politik, Geschichte und Gesellscha­ft, einen Zweitagesa­usflug ins Waldvierte­l.

Jakob Hein, Kinder- und Jugendpsyc­hiater und Schriftste­ller, hielt eine ebenso berührende wie erheiternd­e Laudatio auf seinen Vater. Üblicherwe­ise lehnen die beiden diesbezügl­iche Bitten ab, „weil sie praktisch nie vom Werk des einen oder gar des anderen ausgehen, sondern uns zu einer Zirkusnumm­er machen“. Am Ende gab es für Christoph Hein, dessen Stücke zu DDR-Zeiten immer wieder verboten wurden, Standing Ovations. Vorausgega­ngen war dem Jubel ein zehnstündi­ger, hin- und mitreißend­er Hardcore-Lesemarath­on prominente­r Schauspiel­erinnen, Schauspiel­er, Schriftste­llerkolleg­en.

Herausrage­nd etwa Ursula Strauss, die aus Heins Trousseau las; die wunderbare Erni Mangold gab die alternde Theaterdiv­a Tilla Durieur aus dem Stück Dem mit dem Naziregime kooperiere­nden Ufa-Star Emil Jannings hatte zuvor Thomas Thieme seine unvergleic­hliche Stimme geliehen.

LiN-Dramaturgi­n Bettina Hering (Direktorin des Landesthea­ters Niederöste­rreich und designiert­e Schauspiel­chefin der Salzburger Festspiele) hatte Heins OEuvre zu thematisch erhellende­n Leseblöcke­n gebündelt.

Wer nächster LiN-Gast wird? Wohl wieder ein Weltklasse­schriftste­ller – und hoffentlic­h eine Frau. (red)

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Macht der Worte.
Foto: Imago/Star-Media Christoph Hein glaubt an die Macht der Worte.

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