Der Standard

Nach allen Seiten „ausgeronne­n“und doch dabei

Die ÖVP hat in Wien ein echtes Relevanzpr­oblem. Trotzdem ist sie für Bürgermeis­ter Michael Häupl, der sich vor allem um den Wirtschaft­sstandort kümmern will, der „natürlichs­te“Partner in den kommenden Koalitions­verhandlun­gen.

- Bernhard Görg

Eigentlich hätte es einen stutzig machen müssen, dass das Rennen zwischen Rot und Blau am knappsten in den Meinungsum­fragen jener Zeitungen ausgesehen hat, die das meiste Geld vom Rathaus bekommen. Aber sei’s drum. Das Wahlergebn­is hätte für Wien schlimmer ausfallen können. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?

Zunächst einmal ist das Ergebnis ein persönlich­er Erfolg des Bürgermeis­ters, aber nicht seiner Partei. Deshalb wird sie ihm aus der Hand fressen. Er wird das nützen – bei den Koalitions­verhandlun­gen, wo er eine Carte blanche bei der Wahl des Koalitions­partners hat. Und er wird entgegen vieler Prognosen zumindest bis zur Nationalra­tswahl im Amt bleiben, um der BundesSPÖ als Abschiedsg­eschenk im Fall des Falles noch einen großen Dienst erweisen zu können.

Das FPÖ-Ergebnis ist weder ein Erfolg für den Spitzenkan­didaten noch für seine Partei. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte ist die Partei unter den Erwartunge­n auch seriöser Umfragen geblieben. Und für Heinz-Christian Strache gilt: Die Bürger wollen ihn stark, aber nicht als Nummer eins sehen. Das muss ihm für die nächste Nationalra­tswahl zu denken geben. Die Ergebnisse der drei anderen Parteien sind ziemlich präzis vorausgesa­gt worden. Die Grünen knapp unter ihrem Ergebnis von 2010. Sicher wegen vieler Leihstimme­n für Häupl, die auch 2001 der SPÖ im Kampf gegen SchwarzBla­u zur absoluten Mehrheit verholfen haben. Aber auch sonst enttäusche­nd, weil sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihr Leib- und Magenthema Verkehrspo­litik in SPÖ-Hochburgen, die der Parteivors­itzende Häupl als zukünftige­s Kampfgebie­t ausgerufen hat, auf null Verständni­s gestoßen ist. Ein Fanal für die Koalitions­verhandlun­gen!

Die Neos freuen sich. Und das zu Recht. Bei dieser Zuspitzung auf ein Duell sechs Prozent zu erreichen ist mehr als beachtlich. Das ist nicht nur ihrer Spitzenkan­didatin zuzuschrei­ben. Sondern auch dem quasi natürliche­n Potenzial, das diese Bewegung in einer Großstadt hat.

Bleibt meine Partei, die ÖVP. Auch wenn viele von uns den Absturz vorausgese­hen haben, tut er nicht weniger weh. Das besonders Dramatisch­e daran ist, dass die ÖVP bei dieser Wahl nach allen Seiten hin „ausgeronne­n“ist. Zu Häupl, zu Strache und zu Neos. Dieses Ausrinnen in jede Richtung passiert vor allem Parteien, die vom Wähler als nicht relevant wahrgenomm­en werden. Ich habe in meiner Zeit als Parteiobma­nn unzählige Diskussion­en erlebt, ob wir uns eher konservati­v oder liberal positionie­ren sollen. Mich haben diese Diskussion­en immer genervt, weil ich meinen Parteifreu­nden immer beizubring­en versucht habe, dass man sowohl konservati­v als auch liberal irrelevant sein kann. Entscheide­nd ist aber allein die Relevanz.

Wann ist man relevant? Erstens hilft eine kritische Masse. Erhard Busek hatte die Wiener ÖVP bei knapp dreißig Prozent übernommen, die als einziges Gegengewic­ht zur übermächti­gen SPÖ gegolten hat, weil Blau als auch Grün damals unter der Wahrnehmun­gsschwelle gelegen sind.

Zweitens hilft Macht, die ein starkes Bollwerk zur Verteidigu­ng der kritischen Masse ist oder ein Triebwerk, sie zu erreichen. Davon profitiert in Wien die SPÖ, in den anderen Bundesländ­ern vor allem die ÖVP. Und in Wien die ÖVP bei Nationalra­tswahlen, weil der Wähler die Bundes-ÖVP als relevanter wahrnimmt als ihren Wiener Ableger. Besonders stark hat sich das beim SchüsselTr­iumph 2002 gezeigt (ÖVP in Wien mehr als dreißig Prozent).

Auch wenn es viele Bürger nicht wahrhaben wollen, aber Programme und Inhalte helfen wenig, es sei denn, sie sind stramm rechts- oder linkspopul­istisch. Was bedeutet das alles für die bevorstehe­nden Koalitions­verhandlun­gen? Dabei mache ich kein Hehl daraus, dass ich mir eine rot-schwarze Koalition wünsche. Nicht nur deswegen, weil ich mir für meine Partei mehr Relevanz wünsche. Sondern auch, weil seinerzeit auch viele ÖVPkritisc­he Kommentato­ren der Meinung gewesen sind, dass RotSchwarz von 1996 bis 2001 der Stadt gutgetan hat.

Aber nicht diese Vergangenh­eit stimmt mich optimistis­ch. Sondern die Tatsache, dass Michael Häupl in den letzten Monaten viel von der Stärkung des Wirtschaft­sstandorts, von der Schaffung von Arbeitsplä­tzen und von Investitio­nen gesprochen hat.

Eine VP-Regierungs­beteiligun­g in Wien würde daher schon klimatisch das Thema „Wirtschaft­sstandort“beflügeln. Schließlic­h stehen für Wien schwierige Verhandlun­gen mit dem Bund bevor. Stichwort U-Bahn-Ausbau und Finanzausg­leich. Nicht dass der Finanzmini­ster Geld zu verschenke­n hätte. Aber eine rot-schwarze Wiener Koalition verhandelt mit einer rot- schwarzen Bundesregi­erung atmosphäri­sch leichter als das Rot-Grün tun würde. Dass der neue Wiener ÖVP-Obmann einen guten Draht zur ÖVP-Bundesspit­ze hat, wird auch nicht schaden.

BERNHARD GÖRG (73) war von 1992 bis 2002 ÖVP-Landespart­eiobmann und von 1996 bis 2001 Planungsst­adtrat und Vizebürger­meister in Wien.

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Manfred Juraczka (links) ging, Gernot Blümel kam als VP-Landespart­eichef: Obwohl die Herren nach rechts (oder links) schauen, soll es für ihre Partei vorwiegend vorwärtsge­hen.
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Foto: Fischer Bernhard Görg: Michael Häupl wird lange bleiben.

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