Nach allen Seiten „ausgeronnen“und doch dabei
Die ÖVP hat in Wien ein echtes Relevanzproblem. Trotzdem ist sie für Bürgermeister Michael Häupl, der sich vor allem um den Wirtschaftsstandort kümmern will, der „natürlichste“Partner in den kommenden Koalitionsverhandlungen.
Eigentlich hätte es einen stutzig machen müssen, dass das Rennen zwischen Rot und Blau am knappsten in den Meinungsumfragen jener Zeitungen ausgesehen hat, die das meiste Geld vom Rathaus bekommen. Aber sei’s drum. Das Wahlergebnis hätte für Wien schlimmer ausfallen können. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?
Zunächst einmal ist das Ergebnis ein persönlicher Erfolg des Bürgermeisters, aber nicht seiner Partei. Deshalb wird sie ihm aus der Hand fressen. Er wird das nützen – bei den Koalitionsverhandlungen, wo er eine Carte blanche bei der Wahl des Koalitionspartners hat. Und er wird entgegen vieler Prognosen zumindest bis zur Nationalratswahl im Amt bleiben, um der BundesSPÖ als Abschiedsgeschenk im Fall des Falles noch einen großen Dienst erweisen zu können.
Das FPÖ-Ergebnis ist weder ein Erfolg für den Spitzenkandidaten noch für seine Partei. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte ist die Partei unter den Erwartungen auch seriöser Umfragen geblieben. Und für Heinz-Christian Strache gilt: Die Bürger wollen ihn stark, aber nicht als Nummer eins sehen. Das muss ihm für die nächste Nationalratswahl zu denken geben. Die Ergebnisse der drei anderen Parteien sind ziemlich präzis vorausgesagt worden. Die Grünen knapp unter ihrem Ergebnis von 2010. Sicher wegen vieler Leihstimmen für Häupl, die auch 2001 der SPÖ im Kampf gegen SchwarzBlau zur absoluten Mehrheit verholfen haben. Aber auch sonst enttäuschend, weil sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihr Leib- und Magenthema Verkehrspolitik in SPÖ-Hochburgen, die der Parteivorsitzende Häupl als zukünftiges Kampfgebiet ausgerufen hat, auf null Verständnis gestoßen ist. Ein Fanal für die Koalitionsverhandlungen!
Die Neos freuen sich. Und das zu Recht. Bei dieser Zuspitzung auf ein Duell sechs Prozent zu erreichen ist mehr als beachtlich. Das ist nicht nur ihrer Spitzenkandidatin zuzuschreiben. Sondern auch dem quasi natürlichen Potenzial, das diese Bewegung in einer Großstadt hat.
Bleibt meine Partei, die ÖVP. Auch wenn viele von uns den Absturz vorausgesehen haben, tut er nicht weniger weh. Das besonders Dramatische daran ist, dass die ÖVP bei dieser Wahl nach allen Seiten hin „ausgeronnen“ist. Zu Häupl, zu Strache und zu Neos. Dieses Ausrinnen in jede Richtung passiert vor allem Parteien, die vom Wähler als nicht relevant wahrgenommen werden. Ich habe in meiner Zeit als Parteiobmann unzählige Diskussionen erlebt, ob wir uns eher konservativ oder liberal positionieren sollen. Mich haben diese Diskussionen immer genervt, weil ich meinen Parteifreunden immer beizubringen versucht habe, dass man sowohl konservativ als auch liberal irrelevant sein kann. Entscheidend ist aber allein die Relevanz.
Wann ist man relevant? Erstens hilft eine kritische Masse. Erhard Busek hatte die Wiener ÖVP bei knapp dreißig Prozent übernommen, die als einziges Gegengewicht zur übermächtigen SPÖ gegolten hat, weil Blau als auch Grün damals unter der Wahrnehmungsschwelle gelegen sind.
Zweitens hilft Macht, die ein starkes Bollwerk zur Verteidigung der kritischen Masse ist oder ein Triebwerk, sie zu erreichen. Davon profitiert in Wien die SPÖ, in den anderen Bundesländern vor allem die ÖVP. Und in Wien die ÖVP bei Nationalratswahlen, weil der Wähler die Bundes-ÖVP als relevanter wahrnimmt als ihren Wiener Ableger. Besonders stark hat sich das beim SchüsselTriumph 2002 gezeigt (ÖVP in Wien mehr als dreißig Prozent).
Auch wenn es viele Bürger nicht wahrhaben wollen, aber Programme und Inhalte helfen wenig, es sei denn, sie sind stramm rechts- oder linkspopulistisch. Was bedeutet das alles für die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen? Dabei mache ich kein Hehl daraus, dass ich mir eine rot-schwarze Koalition wünsche. Nicht nur deswegen, weil ich mir für meine Partei mehr Relevanz wünsche. Sondern auch, weil seinerzeit auch viele ÖVPkritische Kommentatoren der Meinung gewesen sind, dass RotSchwarz von 1996 bis 2001 der Stadt gutgetan hat.
Aber nicht diese Vergangenheit stimmt mich optimistisch. Sondern die Tatsache, dass Michael Häupl in den letzten Monaten viel von der Stärkung des Wirtschaftsstandorts, von der Schaffung von Arbeitsplätzen und von Investitionen gesprochen hat.
Eine VP-Regierungsbeteiligung in Wien würde daher schon klimatisch das Thema „Wirtschaftsstandort“beflügeln. Schließlich stehen für Wien schwierige Verhandlungen mit dem Bund bevor. Stichwort U-Bahn-Ausbau und Finanzausgleich. Nicht dass der Finanzminister Geld zu verschenken hätte. Aber eine rot-schwarze Wiener Koalition verhandelt mit einer rot- schwarzen Bundesregierung atmosphärisch leichter als das Rot-Grün tun würde. Dass der neue Wiener ÖVP-Obmann einen guten Draht zur ÖVP-Bundesspitze hat, wird auch nicht schaden.
BERNHARD GÖRG (73) war von 1992 bis 2002 ÖVP-Landesparteiobmann und von 1996 bis 2001 Planungsstadtrat und Vizebürgermeister in Wien.