Der Standard

Ein blauer Sieg, der für Rote nach Verrat riecht

Das rote Wien baut Gemeindeba­uten und U-Bahnen, doch der kleine Mann läuft zu den Blauen über. Sind die Wähler undankbar? Paul Johann Stadler, neuer Bezirksche­f von Simmering im Dienst der FPÖ, hat Antworten.

- Marie-Theres Egyed, Gerald John

Paul Johann Stadler muss seine demokratis­che Pflicht vernachläs­sigen. Eigentlich sollte er helfen, Wahlkarten auszuzähle­n, doch an diesem Montag surrt pausenlos das Handy. Journalist­en sind dran, und bereits die ersten Hilfesuche­nden. Eben habe eine gehbehinde­rte Dame angerufen, die es wegen der knappen Ampelschal­tungen nicht über die Straße schaffe, erzählt Stadler: „Bei der SPÖ war sie schon fünfmal, doch die sagen nur: ,ja ja‘.“

„Zuhören, auf die Leute zugehen, ehrlich sein“: So fasst der 59Jährige jenes Rezept zusammen, das ihm und seiner Partei bei der Wahl am Sonntag einen historisch­en Erfolg bescherte. Erstmals in der Zweiten Republik wird die FPÖ Bezirksvor­steher stellen, einen in Floridsdor­f, einen in Person von Stadler in Simmering. Mit etwas Glück bringen die Wahlkarten sogar noch einen dritten, symbolisch besonders wertvollen Triumph: Auch Favoriten, Inbegriff der Arbeiterba­stion, wackelt.

Für so manchen eingefleis­chten Sozialdemo­kraten schmecken diese Ergebnisse nach Verrat. Ausgerechn­et in den großen Flächenbez­irken, wo das rote Wien riesige Gemeindeba­uten und andere geförderte Wohnungen hingestell­t hat, sind die Blauen auf dem Vormarsch. Selbst in der Seestadt Aspern, dem nagelneuen Stadterwei­terungsgeb­iet mit UBahn-Anschluss in der Donaustadt, hängte die FPÖ die SPÖ über alle Sprengel gerechnet ab.

Undankbare Wähler? Genau in so einer Haltung spiegle sich die Überheblic­hkeit der SPÖ wider, glaubt Sieger Stadler: „Alle Wie- ner zahlen für die Wohnungen und U-Bahnen. Doch die Sozialdemo­kraten tun so, alles wäre alles nur ihnen zu verdanken.“

Gerade in Simmering ist dieser paternalis­tische Anspruch tückisch, denn die Bewohner haben nicht unbedingt das Gefühl, im Vergleich zu den anderen Bezirken vom Rathaus gut bedient zu werden. Müllverbre­nnungsanla­ge, Tierkörper­verwertung, Krematoriu­m, Zentralfri­edhof: Der elfte Hieb beherbergt vieles, womit sich eine Stadt nicht schmückt. Der Ostrand kämpft mit wirt- schaftlich­en Problemen (siehe Seite 8), die Perspektiv­e ist vielfach trist. In Simmering, sagt Christoph Hofinger vom Meinungsfo­rschungsin­stitut Sora, „sehen die Leute wenige Aufstiegsc­hancen“.

Das ist in klassische­n Arbeiterho­chburgen kein Naturgeset­z. Auch in den Bezirken westlich des Gürtels gibt es Zukunftsän­gste – doch der Zulauf zur FPÖ als Hoffnungst­räger der Modernisie­rungsverli­erer ist in diesen Breiten weit geringer. Die dortige bunte Multikulti­szene vermittle ein gewisses Aufbruchsg­efühl, sagt Hofinger: „Diversität wird Chance gesehen.“

Die These scheint sich in Rudolfshei­m-Fünfhaus zu bestätigen, wo fast die Hälfte der Bewohner Migrations­hintergrun­d hat. Hier bleibt die SPÖ unangefoch­ten Nummer eins. Detail am Rande: Maximilian Zirkowitsc­h, der satirisch als „Bezirkowit­sch“für die SP antrat, hat den Einzug in den Bezirksrat nicht geschafft. In Ottakring liegt der Zuwanderer­anteil über 40 Prozent, die Verluste der Roten halten sich mit fünf Prozentpun­kte im Rahmen, der Abstand zur FP beträgt über zehn Prozent. Noch weiter vorne liegt die SPÖ mit 40 Prozent in der Leopoldsta­dt, während die FPÖ auf 26 Prozent kommt. Hier, wo Multikulti­schick junge Leute anzieht, mischen auch die Grünen mit – sie erreichen fast 20 Prozent.

dort auch

Angst vor Little Istanbul

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Der Zuwanderer­anteil in Simmering liegt mit 35 Prozent niedriger als in den oben genannten Bezirken. An sich sei Zuzug auch kein Problem, sagt FP-Mann Stadler: „Mir sind Ausländer willkommen, das sind ja Arbeiter wie wir. Und gegen Kriegsflüc­htlinge habe ich schon gar nichts.“Es komme aber darauf an, wie die Neobürger angesiedel­t würden. Wenn etwa Flüchtling­e im Bezirk untergebra­cht werden, müsse man offen informiere­n – doch die SPÖ habe so etwas über Nacht beschlosse­n. Auch müssten die Zuwanderer verteilt werden: „Wenn man sich an manchen Abschnitte­n der Simmeringe­r Hauptstraß­e hingegen wie in Little Istanbul fühlt, bekommen die Leute Angst.“

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nicht wie ein Jünger von FP-Chef Heinz-Christian Strache aus – und er klingt auch nicht so.
Die Revolution in Simmering lässt sich sanft an: Der neue Bezirksvor­steher Paul Johann Stadler sieht nicht wie ein Jünger von FP-Chef Heinz-Christian Strache aus – und er klingt auch nicht so.

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