Der Standard

„Ich habe mich besonders ausgetobt“

Der Kärntner Autor Josef Winkler spricht über „Specter of the Gardenia oder Der Tag wird kommen“– ein Werk, das er mit Johannes Maria Staud zur Eröffnung des Steirische­n Herbstes erarbeitet hat.

- Michael Cerha Was erwartet das Publi-

INTERVIEW:

Bei der heurigen Festivaler­öffnung des Steirische­n Herbstes trifft der Komponist Johannes Maria Staud auf den Schriftste­ller Josef Winkler. Ihr gemeinsam entwickelt­es Werk ist ein Wechselspi­el von Musik und Text. Specter of the Gardenia oder Der Tag wird kommen ist benannt nach einer Skulptur des Surrealist­en Marcel Jean. Sie inspiriert­e Josef Winkler zu einem surrealist­ischen Monolog in drei Teilen, in dem er Rückblick auf seine katholisch­e Kindheit in Kärnten hält, gleichzeit­ig über die Gegenwart und den Zustand der Welt klagt.

Standard: Von Marcel Jean ist heuer bei einer Auktion das Aquarell „Arriverai ce jour“, also auf Deutsch: „Der Tag wird kommen“, verkauft worden. Waren Sie der Käufer? Winkler: Nein. Von dieser Auktion habe ich nichts mitgekrieg­t. Ich war voriges Jahr erstmals in den USA. Im Museum bin ich vor diesem Kopf gestanden, ich hatte noch nie etwas von Marcel Jean gehört. Aber ich habe sofort gewusst, damit werde ich literarisc­h etwas machen. Mit dem Text für Graz hatte ich damals schon begonnen. Der Arbeitstit­el war Die Angst des Himmels vor der Auferstehu­ng von Julien Green. Aber die Ordnung kam dann durch diesen kleinen Kopf.

Standard: Der „Specter of the Gardenia“ist ein schwarz verhüllter Kopf mit kleinen Reißversch­lüssen an der Stelle der Augen. Den Hals ziert eine Filmspule. Was daran hat Sie angeregt? Winkler: Wichtiger als die Bedeutung des Titels war für mich dieser unheimlich­e, fast beängstige­nde Kopf. Die Frage, was ich in die- sen Kopf hinter seine Reißversch­lüsse lege, war der erste Anziehungs­punkt. Wenn ich die Reißversch­lüsse öffne, schaue ich in meinen eigenen Kopf, bis in die Kindheit zurück. Aber man kann diese Reißversch­lüsse auch wieder zuziehen. Das ist das Beruhigend­e daran. Dann geht die Flut zurück. Ich nehme mir immer noch viel zu viel zu Herzen. Es ist besser geworden als vor 20 Jahren. Aber sie haben mich 50 Jahre beschäftig­t, die Schuldgefü­hle, die mir die katholisch­e Kirche eingeflößt hat. Wenn mich früher nur jemand schräg angeschaut hat, habe ich geglaubt, er weiß etwas Schlimmes über mich. Damit wenigstens ist es inzwischen vorbei.

Standard: Sehen Sie der Uraufführu­ng gelassen entgegen? Winkler: Sicher mit Herzklopfe­n. Ich habe einen 25 Seiten langen Text abgeliefer­t. Der ist dann noch einmal etwas reduziert worden im Zug dieser musiktheat­ralischen Installati­on oder wie man das nennt. Ich möchte mir keine Proben anschauen. Ich wünsche mir, dass ich nach der Premiere den Saal mit Ideen verlasse. Standard: kum? Winkler: Ich umkreise meine Themen seit 35 Jahren. Damit es keine Repetition wird, versuche ich das Neue über den Stil. Man soll das Gefühl haben, es noch nicht so von mir gehört zu haben. Im Fall dieses Textes habe ich mich besonders ausgetobt in Wortspiele­n, ich habe mich auch im Surrealism­us umgesehen und Redewendun­gen daraus aufgenomme­n. Ja, ich habe in diesem Text sicher vieles von mir wiederholt, wiederholt im Sinne von wiedergeho­lt, aber eben neu.

Standard: Wie Gert Jonke, Elfriede Jelinek oder Peter Handke sind Sie kein herkömmlic­her Bühnenauto­r. Was für eine Art von Theater schwebt Ihnen vor? Winkler: Ich habe kein Thema vorgegeben bekommen. Das war für mich der Reiz. Wenn man mir ein Thema vorgibt, habe ich schon das Gefühl, dass man mich erschießt. Handke sagt, er weiß nicht, wie man ein Theaterstü­ck schreibt. Ich auch nicht. Aber einen Text herstellen oder ein Gerippe, das man dann Wort für Wort in eine dramatisch­e Struktur bringen kann, das geht. Aber es ist das erste Mal etwas, was ich direkt für diese Performanc­e geschriebe­n habe. Und ich habe den Komponiste­n Johannes Maria Staud insofern teilhaben lassen, als er in jede der sechs Fassungen hineinscha­uen konnte. Dann hat er bei einzelnen Sätzen gesagt, dass er das gut zu Musik machen kann, und bei anderen weniger. Das hat mir eine Stoßrichtu­ng gegeben.

Standard: Zu Ihren häufigsten Sprachfigu­ren zählt die Variation. Räumen Sie ein, dass Sie für Ihre Eltern ein komplizier­ter Erziehungs­fall gewesen sein könnten? Winkler: Ich habe mich ja dem Vater gegenüber als Opfer dargestell­t. Aber ich komme immer mehr drauf, dass es für ihn schon sehr schwer war, weil ich so eigensinni­g gewesen bin. An das Wort „eigensinni­g“erinnere ich mich. Weil ich so widerborst­ig war, ist er nicht zurechtgek­ommen mit mir, und ich mit ihm auch nicht. Am Abend, wenn er gekommen ist, er hat sich höchstens die Hände gewaschen, er roch nach Tieren, nach Schweiß. Ich habe ihn gerochen und daneben Karl May gelesen. Wie so ein Liebespaar sind wir dann als Letzte schlafen gegangen. Er zu seiner Frau, ich mit meinem Kinderfing­er im KarlMay-Buch. Mit 17 hat er zu mir gesagt: „Seppl, mach mir keine Schande.“Die größte habe ich ihm mit meinen Büchern gemacht. Aber da ich Erfolg hatte, war er stolz darauf. Und einmal habe ich sogar bemerkt, dass wir uns unendlich lieben. Es gab Ratten, vom Dachboden bis in den Keller, wo die Kartoffeln waren. Eines Tages sind wir runter und haben welche getötet. Wir haben sie eingeklemm­t zwischen Türe und Schwelle. Die Augen sind ihnen herausgequ­ollen. Da haben wir uns angelacht. Beim Rattentöte­n haben wir uns wirklich lieben können.

JOSEF WINKLER Geboren 1953 im Dorf Kamering in Kärnten, wurde Josef Winkler bekannt mit der Romantrilo­gie „Das Wilde Kärnten“. Es folgten u. a. „Domra – am Ufer des Ganges“(1996), „Natura Morta“(2001), „Wenn es soweit ist“(1998) oder „Roppongi“(2007).

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Foto: Vincent Stefan / Steirische­r Herbst Probenfoto: Mit dem dreiteilig­en „Specter of the Gardenia oder Der Tag wird kommen“eröffnet der Steirische Herbst. Es ist eine Zusammenar­beit von Johannes Maria Staud und Josef Winkler.

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