„Ich habe mich besonders ausgetobt“
Der Kärntner Autor Josef Winkler spricht über „Specter of the Gardenia oder Der Tag wird kommen“– ein Werk, das er mit Johannes Maria Staud zur Eröffnung des Steirischen Herbstes erarbeitet hat.
INTERVIEW:
Bei der heurigen Festivaleröffnung des Steirischen Herbstes trifft der Komponist Johannes Maria Staud auf den Schriftsteller Josef Winkler. Ihr gemeinsam entwickeltes Werk ist ein Wechselspiel von Musik und Text. Specter of the Gardenia oder Der Tag wird kommen ist benannt nach einer Skulptur des Surrealisten Marcel Jean. Sie inspirierte Josef Winkler zu einem surrealistischen Monolog in drei Teilen, in dem er Rückblick auf seine katholische Kindheit in Kärnten hält, gleichzeitig über die Gegenwart und den Zustand der Welt klagt.
Standard: Von Marcel Jean ist heuer bei einer Auktion das Aquarell „Arriverai ce jour“, also auf Deutsch: „Der Tag wird kommen“, verkauft worden. Waren Sie der Käufer? Winkler: Nein. Von dieser Auktion habe ich nichts mitgekriegt. Ich war voriges Jahr erstmals in den USA. Im Museum bin ich vor diesem Kopf gestanden, ich hatte noch nie etwas von Marcel Jean gehört. Aber ich habe sofort gewusst, damit werde ich literarisch etwas machen. Mit dem Text für Graz hatte ich damals schon begonnen. Der Arbeitstitel war Die Angst des Himmels vor der Auferstehung von Julien Green. Aber die Ordnung kam dann durch diesen kleinen Kopf.
Standard: Der „Specter of the Gardenia“ist ein schwarz verhüllter Kopf mit kleinen Reißverschlüssen an der Stelle der Augen. Den Hals ziert eine Filmspule. Was daran hat Sie angeregt? Winkler: Wichtiger als die Bedeutung des Titels war für mich dieser unheimliche, fast beängstigende Kopf. Die Frage, was ich in die- sen Kopf hinter seine Reißverschlüsse lege, war der erste Anziehungspunkt. Wenn ich die Reißverschlüsse öffne, schaue ich in meinen eigenen Kopf, bis in die Kindheit zurück. Aber man kann diese Reißverschlüsse auch wieder zuziehen. Das ist das Beruhigende daran. Dann geht die Flut zurück. Ich nehme mir immer noch viel zu viel zu Herzen. Es ist besser geworden als vor 20 Jahren. Aber sie haben mich 50 Jahre beschäftigt, die Schuldgefühle, die mir die katholische Kirche eingeflößt hat. Wenn mich früher nur jemand schräg angeschaut hat, habe ich geglaubt, er weiß etwas Schlimmes über mich. Damit wenigstens ist es inzwischen vorbei.
Standard: Sehen Sie der Uraufführung gelassen entgegen? Winkler: Sicher mit Herzklopfen. Ich habe einen 25 Seiten langen Text abgeliefert. Der ist dann noch einmal etwas reduziert worden im Zug dieser musiktheatralischen Installation oder wie man das nennt. Ich möchte mir keine Proben anschauen. Ich wünsche mir, dass ich nach der Premiere den Saal mit Ideen verlasse. Standard: kum? Winkler: Ich umkreise meine Themen seit 35 Jahren. Damit es keine Repetition wird, versuche ich das Neue über den Stil. Man soll das Gefühl haben, es noch nicht so von mir gehört zu haben. Im Fall dieses Textes habe ich mich besonders ausgetobt in Wortspielen, ich habe mich auch im Surrealismus umgesehen und Redewendungen daraus aufgenommen. Ja, ich habe in diesem Text sicher vieles von mir wiederholt, wiederholt im Sinne von wiedergeholt, aber eben neu.
Standard: Wie Gert Jonke, Elfriede Jelinek oder Peter Handke sind Sie kein herkömmlicher Bühnenautor. Was für eine Art von Theater schwebt Ihnen vor? Winkler: Ich habe kein Thema vorgegeben bekommen. Das war für mich der Reiz. Wenn man mir ein Thema vorgibt, habe ich schon das Gefühl, dass man mich erschießt. Handke sagt, er weiß nicht, wie man ein Theaterstück schreibt. Ich auch nicht. Aber einen Text herstellen oder ein Gerippe, das man dann Wort für Wort in eine dramatische Struktur bringen kann, das geht. Aber es ist das erste Mal etwas, was ich direkt für diese Performance geschrieben habe. Und ich habe den Komponisten Johannes Maria Staud insofern teilhaben lassen, als er in jede der sechs Fassungen hineinschauen konnte. Dann hat er bei einzelnen Sätzen gesagt, dass er das gut zu Musik machen kann, und bei anderen weniger. Das hat mir eine Stoßrichtung gegeben.
Standard: Zu Ihren häufigsten Sprachfiguren zählt die Variation. Räumen Sie ein, dass Sie für Ihre Eltern ein komplizierter Erziehungsfall gewesen sein könnten? Winkler: Ich habe mich ja dem Vater gegenüber als Opfer dargestellt. Aber ich komme immer mehr drauf, dass es für ihn schon sehr schwer war, weil ich so eigensinnig gewesen bin. An das Wort „eigensinnig“erinnere ich mich. Weil ich so widerborstig war, ist er nicht zurechtgekommen mit mir, und ich mit ihm auch nicht. Am Abend, wenn er gekommen ist, er hat sich höchstens die Hände gewaschen, er roch nach Tieren, nach Schweiß. Ich habe ihn gerochen und daneben Karl May gelesen. Wie so ein Liebespaar sind wir dann als Letzte schlafen gegangen. Er zu seiner Frau, ich mit meinem Kinderfinger im KarlMay-Buch. Mit 17 hat er zu mir gesagt: „Seppl, mach mir keine Schande.“Die größte habe ich ihm mit meinen Büchern gemacht. Aber da ich Erfolg hatte, war er stolz darauf. Und einmal habe ich sogar bemerkt, dass wir uns unendlich lieben. Es gab Ratten, vom Dachboden bis in den Keller, wo die Kartoffeln waren. Eines Tages sind wir runter und haben welche getötet. Wir haben sie eingeklemmt zwischen Türe und Schwelle. Die Augen sind ihnen herausgequollen. Da haben wir uns angelacht. Beim Rattentöten haben wir uns wirklich lieben können.
JOSEF WINKLER Geboren 1953 im Dorf Kamering in Kärnten, wurde Josef Winkler bekannt mit der Romantrilogie „Das Wilde Kärnten“. Es folgten u. a. „Domra – am Ufer des Ganges“(1996), „Natura Morta“(2001), „Wenn es soweit ist“(1998) oder „Roppongi“(2007).