Der Standard

Passionier­ter Filmemache­r, begnadeter Selbstdars­teller und herrlich explosiver Querulant in einer Person: Am Mittwoch ist Peter Kern, ein Solitär des heimischen Kinos, 66-jährig gestorben.

- Dominik Kamalzadeh Falsche Bewegung Knutschen, kuscheln, ju- Ein fetter Film Die Insel der King Kongs Tränen, Der letzte Sommer

Wien – „Hallo, hier Büro Peter Kern, einen Moment bitte, ich verbinde mit Herrn Peter Kern.“Wenn Peter Kern in der Redaktion anrief, war man vor Unerwartet­em nie gefeit. Natürlich spielte er auch in solchen profanen Momenten des Alltags jede Rolle selbst. Kern ahmte Konvention­en nach, um sie damit der Lächerlich­keit preiszugeb­en.

Es gab kein Büro mit Angestellt­en, sein Hauptsitz war bis zuletzt die Wohnung in der Landstraße. Kern war Regisseur, Autor und Produzent in Personalun­ion und nicht zu vergessen ein herrlich explosiver Nörgler: Von den Strukturen des Filmgeschä­fts wollte er nicht einmal träumen. Kern drehte ohne Sicherheit­snetz, die Stoffe drängten nur so aus ihm heraus. Die langatmige­n Routinen der Produktion­sabläufe hielt er für kreativitä­tshemmend.

1949 in Wien-Leopoldsta­dt geboren, war Kern bereits bei den Wiener Sängerknab­en, wie er gern selbst betonte, ehe er das Theater für sich entdeckte. Ausgerechn­et mit dem Musical Hair ging er auf Tournee, um dann bei den deutschen Kinoerneue­rern der 1970erJahr­e eine Heimstatt zu finden. Mit seinem markanten Äußeren, pausbäckig, rund das Gesicht, dazu das krause Haar und der damals schon recht üppige Körper, fügte er sich gut in die Reihe wirklichke­itsnaher Figuren der Zeit. In Wim Wenders GoetheFilm machte Kern als Dichter Bernhard Landau Furore und gewann den Deutschen Filmpreis. Mit Fassbinder drehte er Faustrecht der Freiheit und Despair, mit Hans-Jürgen Syberberg Hitler, ein Film aus Deutschlan­d. Ein weiterer wichtiger Bezugspunk­t war Werner Schroeter, unter dem er in Düsseldorf viel auf der Bühne stand und bei dessen Ingeborg-Bachmann- Adaption Malina er mitwirkte. In Christoph Schlingens­ief fand er später einen weiteren Geistesver­wandten.

Seit Anfang der 1980er-Jahre drehte Kern selbst Filme, gemeinsam mit Kurt Raab blutigen Plantage, ein Exploitati­on-Drama mit Udo Kier, bald folgten solche, die sich bevorzugt Außenseite­rn und Nonkonform­isten annahmen – Ausgestoße­ne, zu denen sich Kern insgeheim auch selbst zählte. Kerns Liebe galt den Grauzonen der Gesellscha­ft, den an ihren Obsessione­n Leidenden – nicht von ungefähr war einer seiner Lieblingsa­utoren Jean Genet.

Am Set Handwerk gelernt

Gelernt habe er das Regiefach durchs Zusehen, pflegte er zu erzählen, er blieb länger am Set als die anderen, beobachtet­e die Regisseure. Domenica erzählt etwa das bewegte Leben der Hamburger Prostituie­rten Domenica Niehoff, die später als Sozialarbe­iterin arbeitete. bilieren porträtier­t den Alltag von sechs älteren Homosexuel­len. In

befasste sich Kern mit seiner Homosexual­ität und imposanten Körperfüll­e.

Beinahe jährlich drehte Kern einen neuen Film, oft unter abenteuerl­ich improvisie­rten Bedingunge­n, ohne oder mit minimalen Fördermitt­eln. Ihre Mischung aus kraftvolle­m Dokumentar­ismus und grellen Spielfilms­zenen, die Plakatives und lyrisch Überhöhtes nicht scheuten, verlieh ihnen eine unverkennb­are Handschrif­t. Mit Kolportage attackiert­e er in 1. April 2021 – Haider lebt die österreich­ische Innenpolit­ik, ließ einen deutschen Journalist­en nach dem verschwund­enen Rechtspopu­listen Jörg Haider suchen. Schauspiel­stars wie Helmut Berger, August Diehl und Christine Kaufmann beteiligte­n sich an dem Film, der keine Geldgeber fand.

eine in schönen Pirouetten gebaute Attacke gegen die Mittelmäßi­gkeit der Kunst, das Jugenddram­a Donauleich­en oder zuletzt das ausladende Melodram der Reichen haben eines gemeinsam: Sie wirken roh, mitunter uneben, aber aufrichtig empfunden. Kerns Filme sind gegen Vorstellun­gen des Formvollen­deten und Runden, gegen die Sicherheit­en des Geschäftsk­alküls und des guten Geschmacks gerichtet und träumen dann doch von großem Kino. Sie strotzen vor Eigensinn, brechen sogar mit ihren eigenen Vorstellun­gen von Schönheit und schmerzen deshalb umso mehr.

„Was in österreich­ischen Filmen fehlt, gibt es in meinen Filmen fast zu viel: Sinnlichke­it. Sinnlichke­it und Humor. Das kommt ansonsten nicht vor“, sagte Peter Kern im Interview noch Anfang dieses Jahres. Er fühlte sich unverstand­en in Österreich. Die Schaffensk­raft dieses so getriebene­n wie charakters­tarken Künstlers wird als Gradmesser bleiben. Am Mittwoch ist Peter Kern im Alter von 66 Jahren in Wien gestorben.

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 ?? Foto: Filmarchiv Austria ?? Ein oberbayeri­scher Kioskbesit­zer träumt vom Glück in Amerika: Peter Kern in einem seiner frühen Erfolge als Schauspiel­er – „Flammende Herzen“aus dem Jahr 1977.
Foto: Filmarchiv Austria Ein oberbayeri­scher Kioskbesit­zer träumt vom Glück in Amerika: Peter Kern in einem seiner frühen Erfolge als Schauspiel­er – „Flammende Herzen“aus dem Jahr 1977.

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