Der Standard

Der Ko-Vorsitzend­e der Kurden- und Linksparte­i HDP, ist auf Rundreise durch Europa, um auf die neue Gewalt in der Türkei aufmerksam zu machen. In Wien traf er den Bundespräs­identen.

Selahattin Demirtaş,

- Markus Bernath

INTERVIEW:

Standard: Die Neuwahlen am 1. November werden alle Probleme lösen, die durch die Parlaments­wahlen im Juni entstanden sind, sagt Staatspräs­ident Tayyip Erdogan. Ist das so? Demirtaş: Was Erdogan als Problem sieht, ist, dass die AKP nicht mehr allein regiert. Kann sie wieder allein regieren, ist für ihn das Problem gelöst.

Standard: Sie glauben, Ihre Partei, die HDP, wird bei den kommenden Wahlen noch zulegen. Warum? Demirtaş: Ja, wir werden noch Stimmen dazugewinn­en. Die Menschen in der Türkei wollen Frieden, sie wollen zusammenle­ben. Sie sehen aber, dass Erdogan in die Alleinregi­erung vernarrt ist. Dass er den Krieg benutzt, um die HDP unter die Sperrklaus­el zu drücken. (Für den Einzug ins türkische Parlament muss eine Partei landesweit mindestens zehn Prozent erreichen, Anm.) Das ist der Hauptgrund, warum die Menschen die HDP unterstütz­en.

Standard: Im vergangene­n Wahlkampf kam die Polizei zu Ihnen nach Hause in Diyarbakir. Fürchten Sie, dass Sie dieses Mal verhaftet werden könnten? Demirtaş: Nein, das glaube ich nicht. Ich bin Abgeordnet­er und genieße Immunität. Die Lage ist jetzt natürlich sehr angespannt. Aber auch beim letzten Mal, als wir einen lockeren, fröhlichen Wahlkampf gemacht haben, gab es insgesamt 167 Angriffe auf unsere Wahlverans­taltungen und Parteibüro­s. Wir werden versuchen, auch dieses Mal das Beste daraus zu machen.

Standard: Wie ist der Friedenspr­ozess zwischen den Kurden und dem türkischen Staat eigentlich zu seinem Ende gekommen? Demirtaş: Erdogan wollte einen Frieden ohne Demokratie. So hat er es sich in seinem Kopf vorgestell­t. Er wollte mit dem Friedenspr­ozess nicht die Demokratis­ierung der Türkei antreiben, sondern nur die PKK vernichten. Das ist ihm nicht gelungen, und das ist der Grund, weshalb er vom Verhandlun­gstisch aufstand und den Friedenspr­ozess beendete. Seine Idee war, die PKK sollte die Waffen niederlege­n und er könnte dann eine Ein-Mann-Diktatur errichten. Erdogan hat sich an keine der Abmachunge­n gehalten, die verhandelt worden waren. Standard: Sie haben die PKK aufgerufen, „ohne wenn und aber“die Angriffe einzustell­en. Haben Sie den Eindruck, dass Sie gehört werden? Demirtaş: Die Waffen „zum Schweigen bringen“, habe ich gesagt. Ich habe zu einem Waffenstil­lstand aufgerufen. Die PKK beachtet uns, weil die Bevölkerun­g hinter uns steht. Wir sind die Stimme der Bevölkerun­g. Die PKK aber sagt: Ein Waffenstil­lstand ist gut und nützlich, aber solange es Operatione­n der türkischen Armee gibt, ist er nicht möglich. Der Waffenstil­lstand muss von beiden Seiten ausgehen. Deshalb versuchen wir auch, mehr Druck auf den Staat als auf die PKK auszuüben.

SELAHATTIN DEMIRTAŞ (42) ist der führende kurdische Politiker der Türkei und zusammen mit Figen Yüksedag seit 2014 Vorsitzend­er der Partei der Demokratis­chen Völker (HDP). Der Anwalt und Parlaments­abgeordnet­e trat im selben Jahr als Kandidat bei den ersten direkten Präsidente­nwahlen an. Im Juli wurden Ermittlung­en wegen Anstachelu­ng zu bewaffnete­n Protesten eingeleite­t.

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beeinfluss­en und wieder allein regieren zu können, sagt Demirtaş.
Foto: Matthias Cremer Vorwürfe gegen den Staatschef: Erdogan führe Krieg, um die Wahlen zu beeinfluss­en und wieder allein regieren zu können, sagt Demirtaş.

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