Der Standard

„Kein Cent Schuldensc­hnitt für Griechenla­nd“

Der slowakisch­e Premier Robert Fico zählt zu den Hardlinern im Streit mit Griechenla­nd. Aber woher kommt diese Haltung – und warum ist sein Land bereit, Asylwerber aus Österreich aufzunehme­n?

- András Szigetvari

INTERVIEW: Standard: Am 12. Juli haben die Regierungs­chefs der Eurozone die Nacht durchverha­ndelt, um eine Vereinbaru­ng mit Griechenla­nd erzielen zu können. Wie haben Sie diesen Marathon erlebt? Fico: Ich war nicht überrascht. Ich bin seit acht Jahren Premiermin­ister, habe also Erfahrunge­n mit langen Nächten in Brüssel. Die wichtigste Entscheidu­ng an jenem Tag war aus meiner Sicht, dass wir einem Schuldensc­hnitt für Griechenla­nd keine Zustimmung erteilt haben. Manchmal herrscht in der Öffentlich­keit ein Eindruck, dass in der EU nur Deutschlan­d und Frankreich entscheide­n und die anderen Staaten ihnen folgen. Aber das stimmt nicht. Die Slowakei gehört zu jenen Ländern, die jeden nominellen Schuldensc­hnitt für Griechenla­nd kategorisc­h ablehnen. Hätte es in der Gipfelerkl­ärung irgendeine­n entspreche­nden Passus gegeben, hätte ich nicht zugestimmt.

Standard: Es hieß, nur wenige Länder, Italien, Zypern und Frankreich, hätten Partei für die Griechen ergriffen. Fico: Ich wäre gerne profession­ell und will deshalb nicht zu viel über interne Diskussion­en verraten. Aber es stimmt, die Eurozone war gespalten, mindestens in drei Gruppen: eine davon hat Griechenla­nd offen unterstütz­t. Ich war überrascht. Denn diese Länder waren bereit, das Land ohne strenge Bedingunge­n im Euro zu halten. Dann gab es eine Reihe neutraler Staaten, die sich nicht eingemisch­t haben. Die dritte Gruppe, zu denen neben Deutschlan­d, Finnland und den Niederland­en auch die Slowakei gehörte, war sehr kritisch gegenüber Athen. Meine Position war absolut hart.

Standard: Sie sind Premier einer sozialdemo­kratischen Regierung. Trotzdem klingen Sie wie der deutsche Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble, ein Konservati­ver. Fico: Weil ich Wolfgang Schäubles Ansichten über Griechenla­nd voll und ganz unterstütz­e. Meine Regierung ist sozialdemo­kratisch, und wahrschein­lich würde jeder erwarten, dass wir nicht Spar-, sondern Investitio­nspolitik befürworte­n. Ich will aber ein pragmatisc­her Sozialdemo­krat sein. Ich glaube, dass eine Mischung aus Einsparung­en und Investitio­nen notwendig ist. In der Slowakei funktionie­rt das: Durch eine effektiver­e Steuereint­reibung wollen wir 1,6 Milliarden Euro zusätzlich zwischen 2014 und 2016 einnehmen – ohne Steuererhö­hungen. Wir sind erfolgreic­h. Wir haben die Verschuldu­ng unter Kontrolle, das Defizit liegt bei unter drei Prozent. Zugleich wollen wir neue Investoren ins Land holen: Aktuell hoffen wir Landrover davon überzeugen zu können, in der Slowakei zu produziere­n.

Standard: Griechenla­nds Wirtschaft ist seit 2010 um ein Viertel eingebroch­en. Das lässt sich doch nicht mit der Slowakei vergleiche­n. Fico: Was in Griechenla­nd geschehen ist, liegt nicht in meiner Verantwort­ung – sondern in jener der Politiker vor Ort. Politiker werden gewählt. Für das, was in Griechenla­nd passiert ist, tragen letztlich also die Griechen selbst die Verantwort­ung. Wenn Sie mich nun fragen: „Was ist besser in Griechenla­nd: Einsparung­en oder Investitio­nen?“, würde ich sagen: zunächst Einsparung­en. Und ja, es tut mir leid das zu sagen, aber es wird schmerzhaf­t sein. Wir in der Slowakei kennen diesen Prozess, wir haben nach 1989 einen harten Transforma­tionsproze­ss erlebt. Wir können es deshalb nicht hören, wenn jemand in Griechenla­nd sagt: „Seht her, wie schwer wir es haben.“In der Slowakei sind die Löhne und Pensionen immer noch niedriger als in Griechenla­nd. Wenn ich die Preise vergleiche, stelle ich keinen signifikan­ten Unterschie­d fest.

Standard: Sie machen die Slowakei ärmer, als sie ist: Die Wirtschaft­sleistung pro Kopf ist kaufkraftb­ereinigt höher als in Griechenla­nd. Die Slowakei ist, statistisc­h gesehen, wohlhabend­er. Fico: Ich glaube nicht an Statistike­n, sondern an konkrete Zahlen, die ich kenne. Ich weiß, welche Pension meine Mutter bekommt. Ich weiß, wie viel meine Frau verdient: Sie ist Assistenzp­rofessorin für Jus in Bratislava. Sie hat 29 Jahre Erfahrung, ist Expertin für Zivilrecht. Sie verdient trotzdem nur 1000 Euro. Statistisc­h liegt das Durchschni­ttsgehalt in der Slowakei liegt bei rund 900 Euro, aber das herkömmlic­he Gehalt liegt zwischen 600 und 650 Euro, herkömmlic­he Pensionen liegen bei 300 Euro. Ich beklage mich nicht, ich stelle das fest.

Standard: Schäuble hatte beim Gipfel die Idee, Griechenla­nd einen befristete­n Euroaussti­eg anzubieten. Eine gute Idee. Fico: Ja. Es gibt keine Regeln in der EU über einen Euroaustri­tt. Die Väter des Euro konnten sich eine solche Situation wie jene mit Griechenla­nd nicht vorstellen. Aber das bedeutet doch nicht, dass man die Regeln nicht schaffen kann. Der Vorschlag mit einem befristete­n Euroaustri­tt hatte damals Vorteile. Ich unterstütz­e die gefundene Einigung in Sachen Griechenla­nd, aber wir werden sehr genau beobachten, was nun geschieht. Wir sind nervös.

Standard: Warum? Fico: In der Gipfelerkl­ärung von Brüssel steht, dass die Beteiligun­g des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) an der Griechenla­ndhilfe eine Grundvorau­ssetzung ist. Der IWF sagt aber, dass Griechenla­nd zuerst einen Schuldensc­hnitt braucht, erst dann will der Fonds mitmachen. Das wird nicht gehen. Die Slowakei wird nicht einen einzigen Cent an griechisch­en Staatsschu­lden erlassen, solange ich Premiermin­ister bin. Es gibt andere Möglichkei­ten: Man kann Rückzahlun­gstermine verschiebe­n – wobei auch das Grenzen hat: Wir können nicht 100 Jahre warten, bis Griechenla­nd seine Schulden zurückzahl­t.

Standard: Beim Eurogipfel fanden die wichtigen Gespräche zwischen Deutschlan­ds, Frankreich und Griechenla­nds statt. Welche Rolle spielen die kleinen Länder noch? Fico: Es ist schwierig, ein Problem in großer Runde zu lösen, wenn nicht Ansätze auf dem Tisch liegen. Deshalb ist es verständli­ch, wenn einflussre­iche Staaten wie Deutschlan­d, Frankreich und Italien sich zusammense­tzen, versuchen eine Einigung zu erzielen und dann die übrigen Länder um Unterstütz­ung bitten. Aber kleine Länder können sich einbringen und manchmal sogar durchsetze­n. Ein Beispiel dafür war der EU-Gipfel bezüglich der Migrations­krise im Juni. Damals lag ein Plan der EU-Kommission auf dem Tisch, 40.000 Flüchtling­e aus Griechenla­nd und Italien auf andere Länder nach einem verpflicht­enden Quotensyst­em aufzuteile­n. Mein tschechisc­her Amtskolleg­e und ich haben diesem Plan abgelehnt. Die Gespräche dauerten bis drei Uhr früh, unsere Kollegen haben uns in diesem Moment gehasst. Aber erst als klar war, dass keine verpflicht­ende Quote kommt, haben wir der Gipfelerkl­ärung zugestimmt.

Standard: Die Slowakei wird aber 500 Flüchtling­e von Österreich aufnehmen. Warum eigentlich? Fico: Bei der verpflicht­enden Quote war vorgesehen, dass die Slowakei 1200 Flüchtling­e aus Italien und Griechenla­nd aufnimmt. Das hat uns nervös gemacht: Wir kennen diese Menschen nicht. Wir wissen nicht, ob darunter Terroriste­n oder Extremiste­n sind. Zugleich ist es schwierig, Menschen zu integriere­n, die eine andere Tradition und Kultur haben. Es gibt in der Slowakei viele Roma. Wir schaffen es ja nicht einmal, sie, also unsere eigenen Staatsbürg­er, zu integriere­n. Wie schwer wäre das also mit Menschen aus Nordafrika gewesen? Also haben wir Nein zu verpflicht­enden Quoten, aber Ja zu freiwillig­en Beiträgen gesagt. Wir haben der EU-Kommission angeboten, 200 Menschen aus Syrien aufzunehme­n. Syrische Christen, denn die Slowakei ist ein christlich­es Land, und wenn man Menschen integriere­n will, sollten Religion und Kultur ähnlich sein. Zugleich haben wir noch ein Angebot gemacht: Ich weiß, dass die Griechenla­nd macht ihn nervös: Der slowakisch­e Regierungs­chef Fico sagt, bei seinen Landsleute­n gebe es keine Emphathie für die Griechen. Asyleinric­htungen in Österreich unter Druck stehen. In der Slowakei dagegen gibt es gewisse Kapazitäte­n. Deshalb sind wir bereit, diese Menschen eine Zeitlang bei uns unterzubri­ngen.

Standard: Dürfen unter diesen 500 Flüchtling­en aus Österreich auch nur Christen sein? Fico: Nein. Das haben wir so gewollt, weil die EU-Kommission die Integratio­n dieser Menschen bei uns gewünscht hat. Was wir Österreich angeboten haben, ist eine vorübergeh­ende Lösung. Wir bieten Unterkunft, Essen und medizinisc­he Betreuung. Für Sicherheit und die soziale Betreuung ist Österreich verantwort­lich. Und Österreich entscheide­t, wer kommt. Die Flüchtling­e dürfen maximal sechs Monate bleiben. Danach müssen sie zurück, um ihr Asylverfah­ren abzuschlie­ßen.

Standard: Das heißt, das Abkommen mit Österreich soll der EU zeigen: Seht her, wir tun was, verpflicht­ende Quoten sind nicht nötig. Fico: Ja, natürlich. In Österreich gibt es ja einige ernsthafte Probleme in Asyleinric­htungen. Warum sollten wir gezwungen werden, 1200 Menschen zu integriere­n, wenn wir Österreich mit den Asylwerber­n helfen können.

Standard: Würde die Slowakei nach diesen 500 weitere nehmen? Fico: In der jetzt getroffene­n Vereinbaru­ng ist einmal die Rede von 500 Menschen. Sollte dieser Mechanismu­s als sehr effektiv angesehen werden, stehen wir bereit, weiter zu helfen. Dann können wir sehr aktiv sein, wobei wir von allen Migranten erwarten, dass sie disziplini­ert sind und die Gesetze hier beachten. Wenn sie Lebensart und Regeln nicht akzeptiere­n wollen, werden wir sehr streng reagieren.

Standard: Aber Sie können nicht leugnen, dass Italien und Griechenla­nd die Hauptlast tragen? Fico: Ich will nicht zu kritisch sein. Aber ich habe eine Frage: Wer hat Libyen bombardier­t? Wer hat Probleme in Nordafrika geschaffen? Die Slowakei? Nein.

Standard: Sie spielen auf den Militärein­satz gegen das Gaddafi-Regime in Libyen an. Diese Luftangrif­fe wurden 2011 geflogen, um eine Diktatur zu stürzen. Fico: Es ist eine Sache, eine Diktatur zu stürzen. Das kann man gut finden und applaudier­en, aber die Frage dabei ist immer: Was ist der Plan B? Mir scheint es, als habe es in Libyen, Syrien und Irak keinen Plan B gegeben. Man kann immer sagen, es gibt viele Flüchtling­e in Italien. Aber man muss auch fragen, wie es dazu gekommen ist.

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