Der Standard

Türkei versinkt in Terror und Politkalkü­l

Zwei Wochen ist der „Krieg gegen den Terrorismu­s“alt, den die türkische Führung Kurden, Islamisten und Linksextre­misten erklärt hat. Am Montag schlugen die kurdische Arbeiterpa­rtei PKK und die marxistisc­he Gruppe DHKP-C mit einer Serie von Angriffen zurü

- Markus Bernath

Ankara/Istanbul – In Şirnak, tief im Südosten der Türkei, scheinen an diesem Tag viele Fäden zusammenzu­laufen. Ayhan Gökçe stammt von dort, der 25-jährige Mann, der angeblich am Montag um ein Uhr morgens einen Lastwagen mit einer Bombe vor einer Polizeista­tion in Istanbul in die Luft sprengte.

In der Provinz Şirnak gab es vergangene­n Freitag auch die Straßenkäm­pfe zwischen jungen Anhängern der kurdischen Untergrund­armee PKK und türkischen Sicherheit­skräften. Drei Polizisten wurden dabei erschossen, viele Personen verletzt. Ebenfalls in Şirnak, 1200 Kilometer weit von Istanbul, an der Grenze zu Syrien und dem Irak, ging am Montag auch eine Mine hoch, als sie ein Polizeifah­rzeug passierte. Vier Beamte starben, ein fünfter wurde verletzt. Und die PKK schoss in derselben Provinz am Montagmorg­en einen Hubschraub­er der türkischen Armee ab. Ein Soldat kam dabei um.

Zwei Wochen alt ist nun der „Krieg gegen den Terrorismu­s“, den Staatschef und Premier nach dem Verlust der Regierungs­mehrheit bei den Parlaments­wahlen erklärt hatten. Die Kurden der verbotenen PKK sind das Hauptziel von Polizei und Armee. 390 Kämpfer der Arbeiterpa­rtei Kurdistans will die türkische Armee bei ihren Bombenangr­iffen auf Stellungen der PKK im Nordirak seither getötet haben. Schon vor den Wahlen am 7. Juni begann die Waffenruhe zu bröckeln, die der Staat mit dem inhaftiert­en PKK-Gründer Abdullah Öcalan ausgehande­lt hatte.

Dann aber gelang der Kurdenpart­ei HDP erstmals der Sprung ins Parlament; sie nahm der konservati­v-islamische­n AKP von Staatspräs­ident Tayyip Erdogan und Premier Ahmet Davutoglu die Regierungs­mehrheit. Am Montagaben­d sollte in Ankara entschiede­n werden, ob eine große Koalition mit den Sozialdemo­kraten gebildet wird.

Zwei Angriffe

Aber auch die linksextre­me Terrorgrup­pe DHKP-C ist seit Ende Juli bei den landesweit­en Razzien im Visier der Polizei; weniger auch mutmaßlich­e Mitglieder und Unterstütz­er der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS), die Teile Syriens und des Irak erobert hat.

Zweimal schlägt die PKK am Montag vor der Polizeista­tion in Sultanbeyl­i zu, einem Arbeitervi­ertel im Südosten Istanbuls, auf der asiatische­n Seite der Millionens­tadt. Die Bombenexpl­osion nach Mitternach­t richtet großen Schaden am Gebäude der Polizeista­tion an; drei Beamte und sieben weitere Personen werden verletzt. Doch als Stunden später, um fünf Uhr morgens, eine Sondereinh­eit der Polizei den Tatort untersucht, greifen zwei mutmaßlich­e PKKMitglie­der ein weiteres Mal an. Der Chef der Polizeiein­heit und eine Angreiferi­n sterben bei dem Schusswech­sel; ihr Komplize kann flüchten.

Die DHKP-C schlägt am Vormittag in Istanbul zu. Zwei Mitglieder der linken Terrorgrup­pe feuern mit Gewehren auf das US-Konsulat. Es soll wohl ein provokativ­er Akt sein: Das Konsulat liegt wie eine Festung auf einem Hügel im Stadtteil Sariyer im europäisch­en Teil. Ein Polizist verletzt eine Angreiferi­n, die 51-jährige Hatice Aşik. Sie war, wie türkische Medien berichten, schon Ende der 1990er-Jahre als Mitglied der Terrorgrup­pe im Gefängnis.

Kemal Kiliçdarog­lu, der Chef der sozialdemo­kratischen CHP, rief angesichts der Terrorseri­e zu einer politische­n Einigung auf. Die Chancen für eine Koalitions­regierung galten als klein. Erdogan soll Neuwahlen bevorzugen. Eine von der AKP in Auftrag gegebene Umfrage soll der Partei leichte Stimmgewin­ne voraussage­n.

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Foto: AP / Akin Celiktas Aufräumarb­eiten vor der Polizeiwac­he im Istanbuler Stadtteil Sultanbeyl­i, wo Montagfrüh ein Anschlag mit einer Lkw-Bombe verübt wurde.
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Foto: KAICIID/Shaked Der Spanier Álvaro Albacete Perea wird Vizegenera­lsekretär im König-AbdullahZe­nturm.

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