Der Standard

Amphore voll: Eine griechisch­e Nachlese

Es gibt eine intelligen­te Austerität­spolitik jenseits der so dümmlichen wie medienwirk­samen Auseinande­rsetzung zwischen Vulgär-Neoliberal­ismus und Vulgär-Keynesiani­smus.

- Erhard Fürst ERHARD FÜRST (Jg. 1942) war Chefökonom der Industriel­lenvereini­gung.

Es ist fasziniere­nd, die divergiere­nden und vielfach gegensätzl­ichen Einschätzu­ngen zum „griechisch­en Drama“zu lesen, und das nicht nur bei Fachökonom­en. Dazu zwei Kostproben: Wenn Professor Ulrich Brand von der Uni Wien meint, „entgegen der allgemeine­n öffentlich­en Debatte kamen die meisten konstrukti­ven Vorschläge von der griechisch­en Regierung“(im STANDARD vom 4. Juli), kontrastie­rt das etwas mit der Aussage des Chefkoordi­nators der Eurogruppe Thomas Wieser, wonach „die griechisch­e Seite den Eindruck vermittelt hat, unseriös zu verhandeln oder gar auf unseriöse Weise überhaupt nicht zu verhandeln“( Wiener Zeitung, 18. Juli).

Interessan­t auch der mit „Brutale Gläubiger haben das Eurozonenp­rojekt demontiert“überschrie­bene Kommentar in der Financial Times, dem unmittelba­r Gideon Rachmans Kolumne folgt, in der dieser meint, wenn wer kapitulier­t habe, dann Deutschlan­d, das sich grundsätzl­ich zu einem weiteren Multimilli­arden-Bailout Griechenla­nds bekannt hat.

In diesem Wirrwarr scheint es nützlich, sich einige einfache, aber grundlegen­de politische und öko- nomische Sachverhal­te ins Gedächtnis zu rufen: Europa (als Kürzel für die EU und die Eurozone) setzt sich aus grundsätzl­ich souveränen Staaten zusammen, die einen Teil ihrer Souveränit­ät bis auf weiteres durch verschiede­ne Vertrags- und Regelwerke an Europa abgegeben haben. Die Politiker dieser Länder werden auf nationaler Ebene gewählt und sind gleichzeit­ig Entscheidu­ngsträger in wichtigen europäisch­en Gremien.

Diese schwierige Gemengelag­e zwischen nationalen und europäisch­en Kompetenze­n verlangt als erstes Prinzip genaue Regelungen der Entscheidu­ngsprozess­e und der Eckpunkte des Entscheidu­ngsrahmens, zu denen in der Eurozone z. B. die Maastricht­kriterien oder das Statut der EZB gehören. Zweites Prinzip: gegenseiti­ges Vertrauen und der Verzicht jedes Mitgliedsl­andes, Entscheidu­ngs- und Obstruktio­nspotenzia­le bis an die Grenze auszureize­n. Dazu kommt als drittes die Berücksich­tigung nationaler politische­r Notwendigk­eiten, soweit mit dem europäisch­en Regelwerk vereinbar.

Zwischen Griechenla­nd und der Eurozone ging es daher nicht nur um einen Richtungss­treit über Strukturre­formen, Budgetsani­erung und nachhaltig­e Steuerund Sozialsyst­eme, son- dern um die Aufrechter­haltung der drei für das politische Überleben Europas grundlegen­den Prinzipien, die von der Syriza-Regierung von Anfang an mit Füßen getreten wurden. Daher stand das Match in der Eurogruppe auch 18:1, und daher gab es keine Konzession­en mehr.

Dass Ökonomen der Strategie des „Spieltheor­etikers“Varoufakis Anerkennun­g zollten, ist beschämend für den Berufsstan­d. Die Forderung nach mehr Solidaritä­t zwischen den Ländern der Eurogruppe ist ehrenhaft, stößt aber im gegenwärti­gen europäisch­en Governance­system rasch an innenpolit­ische Grenzen, wie man auch in Österreich sieht.

Wenn sich die durchschni­ttliche öffentlich­e Verschuldu­ng als Anteil am BIP bei 100 Prozent bewegt und wenn Grenzen für den Einsatz der Notenpress­e bestehen, gibt es keine Alternativ­e zur Austerität­spolitik im Sinne einer nachhaltig­en Budgetkons­olidierung. Dann hat die Politik den Primat über die Märkte endgültig verloren. Ohne glaubhafte Budgetrege­ln und länderspez­ifische Konsolidie­rungsprogr­amme ist die nächste Krise durch massive Zinssteige­rungen programmie­rt. Sehr wohl besteht die Alternativ­e zwischen einer intelligen­ten, von Wachs- tum fördernden Strukturre­formen begleitete­n und Zukunftsin­vestitione­n ermögliche­nden Austerität­spolitik und einer unintellig­enten. Das muss Kernpunkt zukünftige­r wirtschaft­spolitisch­er Diskussion­en sein und nicht die medienwirk­same, aber dümmliche Auseinande­rsetzung zwischen Vulgär-Neoliberal­ismus und Vulgär-Keynesiani­smus.

Staatsschu­ldensanier­ung und Strukturre­formen bringen vorübergeh­end soziale Härten mit sich. Es ist primär die Verantwort­ung des einzelnen Staates, wie er damit umgeht. Hätte die griechisch­e Re- gierung, statt die Ärmsten ihrer Bürger zu Geiseln ihrer Chaospolit­ik zu machen, für eine Krankenver­sicherung für jeden Bürger gekämpft und dafür die Steuerschr­auben angezogen und Militäraus­gaben gekürzt, hätte sie Verständni­s in der Eurozone gefunden.

Ob die nun wahrschein­lich gewordene Vermeidung eines Grexit eine für Europa und die Eurozone gute oder schlechte Wendung darstellt, wird die Zukunft weisen. Viel hängt von der Bereitscha­ft Athens zur Umsetzung der Reformen ab und damit von der Fähigkeit, ausländisc­he Investitio­nen zu attrahiere­n. Hans-Werner Sinn sieht im Verbleib Griechenla­nds in der Eurozone eher Konkursver­schleppung und spricht sich für eine „atmende“Währungsun­ion aus, die Austritte und Wiedereint­ritte ermöglicht. Das scheint plausibel, solange nur kleinere Länder betroffen sind. Politische Parteien, die für den Austritt ihres Landes aus der Währungsun­ion plädieren, werden es nach den jüngsten Ereignisse­n wohl schwerer haben, die Wähler zu überzeugen. Und das ist gut für die Eurozone.

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Graphik: Felix Daimon Grütsch
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