Der Standard

„Dummheit hat ja so praktische Seiten“

Peter Konwitschn­y inszeniert die erste Opernpremi­ere der Salzburger Festspiele, Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexico“. Ein Gespräch über Kunst und Gott, Dirigenten und Publikum.

- INTERVIEW: Andrea Schurian

Standard: Sie haben einmal gesagt, Ihre Haltung zum Theater sei, je höher die Gagen und je höher die Kartenprei­se, nicht kompatibel. Wie ist das in Salzburg, wo beides hoch ist? Konwitschn­y: Tja, was soll ich sagen. Es wird sich herausstel­len, wenn das Ding losgelasse­n wird. (lacht) Es kann ja schon sein, dass unter dieser Event-Oberfläche einiger Zweifel steckt, der bestätigt wird durch meine Arbeit. Aber vielleicht wollen die mich gar nicht alle in die Hölle stecken.

Standard: „Die Eroberung von Mexico“ist Ihr Salzburg-Debüt. Haben Sie bei der Inszenieru­ng auch das Festspielp­ublikum im Auge? Konwitschn­y: Nein. Natürlich sind da auch ein paar Maden im Speck, aber es sind nicht alle dumm. Ich glaube nicht, dass ich ihnen eins reinwürgen muss. Das wäre ja auch überheblic­h.

Standard: Gibt es so etwas wie Werktreue, der Sie sich verpflicht­et fühlen? Konwitschn­y: Es gibt die Treue dem Sinn nach; und die Treue dem Buchstaben nach. Wenn man nur dem Buchstaben nach treu ist, kann man den Sinn nicht erfahren. Man muss Regieanwei­sungen für heutige Menschen übersetzen und umsetzen. Aber dafür sind viele zu blöd. Standard: Sie beobachten die Opernszene sehr kritisch, vor allem den Hang zum Wahren, Reinen, Schönen ... Konwitschn­y: ... ja, gepaart mit Dummheit. Dummheit hat ja so praktische Seiten! Denn wenn ich dumm bin, muss ich mich mit dem Stück erst gar nicht lange auseinande­rsetzen. Da geht es nur darum,welche prominente­n Namen ich besetzen kann. Was auf der Bühne passiert, ist nicht mehr wichtig. Es muss bloß mit dieser falschen Moral „anständig“sein. Bis in die 1970er-Jahre waren Intendante­n Theaterleu­te. Danach sind immer mehr Manager in diese Position gekommen, die vom Inhalt nicht mehr viel Ahnung ha- ben. Die müssen nur schauen, dass die Budgets nicht überschrit­ten werden, die Zuschauerz­ahlen stimmen und am Abend, wie es so schön heißt, der Lappen hochgeht.

Standard: Konstatier­en Sie eine Zunahme des bürgerlich­en, harmlosen Unterhaltu­ngstheater­s? Konwitschn­y: Nicht das bürgerlich­e, sondern das Idiotenthe­ater nimmt zu. Diese Bürger, die noch etwas wussten und Bildung hatten, die konnten auch unangenehm werden. Aber die waren wirklich besser als Idioten, die gar nichts mehr verstehen – außer, wo es die billigsten Klamotten gibt, da wieder ein Schnäppche­n, da wie- der eine neue App. Es sind nur mehr wenige in der Lage, Anteil zu nehmen, Empathie zu empfinden. Und dann starten die Freunde der Toten Oper eine Kampagne, die Inszenieru­ng wird abgesetzt, der Regisseur stigmatisi­ert.

Standard: Man kann sagen, Ihre Karriere ist mit Skandalen gepflaster­t.Wollen Sie provoziere­n? Konwitschn­y: Ich fühle mich der Theateräst­hetik verpflicht­et, die seit den alten Griechen gilt, nämlich dass es relevant sein muss für die Polis. Natürlich weiß ich, dass das, was ich mache, provoziert. Aber ich will nicht provoziere­n. Doch wenn meine letzte Stunde gekommen ist, möchte ich sagen können, dass ich meinen kleinen Beitrag geleistet habe, damit mehr Wahrheit zwischen den Menschen ist. Denn die Wahrheit ist heilend.

Standard: Wie lange bereiten Sie sich auf eine Inszenieru­ng vor? Konwitschn­y: Diesmal hatte ich wenig Zeit, da ich für Luc Bondy eingesprun­gen bin. Sonst plus/minus drei Jahre. Das ist die schönste Zeit einer Inszenieru­ng, wenn man noch ganz frei ist, vom Hundertste­n ins Tausendste kommt. Man muss sich ja nur vorstellen, wie komplex die Stücke sind. Das sind Welten! Ich muss den Raum herstellen, die Menschen anziehen, überlegen, wie die miteinande­r kommunizie­ren. So wie der liebe Gott das leere All gefüllt hat. Standard: Arbeiten Sie von Anfang an eng mit Dramaturge­n, Bühnenbild­nern zusammen? Konwitschn­y: Unbedingt! Wir treffen uns mehrfach für einige Tage, und da gibt’s nichts als dieses Stück, das ist großartig. Jeder ist alles, der Bühnenbild­ner ist Dramaturg und Regisseur, ich muss Bühnenbild­ner und Dramaturg sein. Wir sind ganz gleichbere­chtigt beim Eindringen in das Stück.

Standard: Wie wichtig ist, wer dann am Dirigenten­pult steht? Konwitschn­y: Sehr wichtig! Wahrschein­lich hatte ich immer Glück mit meinen Dirigenten. Oder, anders gesagt, ich hatte Glück, dass mein Vater Dirigent war und ich von Musik schon etwas weiß. Da haben die Dirigenten nicht so viel Angst.

Standard: Angst wovor? Konwitschn­y: Dass sie von der Kritik angezählt werden, weil sie das Schlimmste nicht verhindert haben: was der Regisseur da mit dem Komponiste­n anstellt. Der Dirigent müsste, fordern zumindest die Kritiker, eine Art Polizist sein, der sagt: ‚Halt! Das geht nicht.‘ Einige führen sich ja auch genauso auf.

Standard: Hatten Sie solche Polizisten-Dirigenten? Konwitschn­y: Nein! Da würde ich die Regie sofort zurücklege­n. Das sind ja reaktionär­e Leute. Ingo Metzmacher dagegen steht voll in der Welt, das finde ich wichtig für unsere Arbeit. Aber es gibt Dirigenten, die sind nicht in der Welt, die nehmen von vielem keine Notiz, sind so saturiert und privilegie­rt, dass sie gar nicht mehr wissen, was los ist. Und die wollen uns vormachen, was Musiktheat­er ist? Nee!

Standard: Was ist Musiktheat­er? Konwitschn­y: Es gibt Dirigenten, die regen sich auf, weil auf der Bühne in einer Sterbeszen­e ein Stuhl umfällt. Aber was soll das? Wir machen keine CD, sondern Theater. Da brauche ich Partner, die das Theater lieben.

Standard: Schauen Sie sich auch Arbeiten von Kollegen an? Konwitschn­y: Immer seltener. Aber das hängt mit meinem Leben zusammen: Die Abende, die man noch hat, werden langsam rar, um das Rauschen des Windes zu hören oder die untergehen­de Sonne zu sehen.

PETER KONWITSCHN­Y (70) wurde fünfmal zum Regisseur des Jahres gewählt. Der in Frankfurt geborene Sohn eines Dirigenten ist berühmt für kontrovers­ielle Interpreta­tionen an den wichtigste­n Opernhäuse­rn, u. a. auch in Wien und Graz.

 ??  ?? Regisseur Peter Konwitschn­y (li.) ist kein Freund der toten Oper. Bo Skovhus (re.) singt in „Die Eroberung von Mexico“den Konquistad­or Cortez. Dirigiert wird die Rihm-Oper von Ingo Metzmacher.
Regisseur Peter Konwitschn­y (li.) ist kein Freund der toten Oper. Bo Skovhus (re.) singt in „Die Eroberung von Mexico“den Konquistad­or Cortez. Dirigiert wird die Rihm-Oper von Ingo Metzmacher.
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