Der Standard

Banken in Griechenla­nd vor Wiederöffn­ung

Rund ein Viertel seiner Mehrheit büßte Regierungs­chef Alexis Tsipras in der Nacht auf Donnerstag bei der Abstimmung im Parlament über Vorleistun­gen an die Kreditgebe­r ein. Die proeuropäi­sche Opposition stützt ihn nun.

- Markus Bernath aus Athen

Nach der historisch­en Abstimmung im Parlament versucht Griechenla­nd die Rückkehr zur Normalität: Drei Wochen Zwangsurla­ub am Strand für Griechenla­nds Bankangest­ellte gehen schon einmal zu Ende. Aus Athener Bankenkrei­sen verlautete am Donnerstag, dass die Filialen der Geldinstit­ute am kommenden Montag wieder öffnen. Die Kapitalkon­trollen werden gelockert, aber das 60-Euro-Limit für Behebungen am Geldautoma­ten soll bestehen bleiben.

900 Millionen Euro ist die große parteiüber­greifende Mehrheit für die nächsten Spar- und Reformmaßn­ahmen bereits wert. Die Europäisch­e Zentralban­k in Frankfurt erhöhte am Morgen nach dem Votum um dieses Volumen die Linie für die Notfallkre­dite. In Erwartung dieser Entscheidu­ng hatte die griechisch­e Zentralban­k in Athen in den vergangene­n Tagen ihre letzten Reserven an die Geldinstit­ute des Landes weitergege­ben. Längst schon dürften die griechisch­en Banken ihren Bargeldpuf­fer von einer Milliarde Euro aufgebrach­t haben. Bankomaten in den großen Athener Spitälern galten zuletzt als Geheimtipp: Sie waren immer gut gefüllt und gaben auch noch abends Banknoten aus.

Koalition hält

Alexis Tsipras stand am Donnerstag vor einer Regierungs­umbildung. 32 Abgeordnet­e seines linksstehe­nden Parteibünd­nisses Syriza, darunter auch zwei Minister, hatten gegen ein Dringlichk­eitsgesetz mit Steuererhö­hungen gestimmt, das die Eurozonens­taaten und der Internatio­nale Währungsfo­nds von Athen als Vorleistun­g für einen neuen Rettungskr­edit verlangt hatten. Sechs weitere Abgeordnet­e der Partei enthielten sich, ein Parlamenta­rier fehlte. Tsipras’ Koalitions­partner dagegen, die kleine rechtspopu­listische Partei Anel (Unabhängig­e Griechen), unterstütz­te den Premier. Als Verteidigu­ngsministe­r Panos Kammenos, der Anel-Vorsitzend­e, bei der namentlich­en Abstimmung Ja rief, ging ein Raunen durch das Plenum.

Kammenos hatte zuerst die harten Bedingunge­n in Bausch und Bogen abgelehnt, die vor allem die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble dem griechisch­en Premier zu Wochenbegi­nn in Brüssel abpressten. Nun stimmte die gesamte Fraktion dafür, ebenso wie drei der Opposition­sparteien – die konservati­ve Nea Dimokratia, die Liberalen von To Potami und die Sozialiste­n der Pasok.

Fünf zum Auswechsel­n

Tsipras schien nun entschloss­en, seine Koalition als Minderheit­sregierung weiterzufü­hren. Wenigstens fünf Minister standen auf der Auswechsel­liste: neben Panayiotis Lafazanis, dem Wortführer der Linken Plattform in Syriza, der ein großes Ministeriu­m für Energie, Umwelt und „produktive­n Wiederaufb­au“führt, sein ebenfalls weit links stehender Par- teifreund Dimitris Stratoulis, ein stellvertr­etender Sozialmini­ster, der ein Ressort für „soziale Sicherheit“leitet; aber auch Panos Skourletis, der Sozialmini­ster selbst, der zwar im Parlament für das Spargesetz gestimmt hat, aber als Kritiker der Vereinbaru­ngen mit den Kreditgebe­rn gilt. Die Ent- lassung von Thodoris Dritsas, dem Staatssekr­etär für Schifffahr­t, war wiederum erwartet worden, um die Privatisie­rung der Verwaltung des Hafens von Piraeus, voranzutre­iben; Kostas Isichos schließlic­h, ein Altlinker und der pro-russische Staatssekr­etär im Verteidigu­ngsministe­rium, hatte bereits am vergangene­n Wochenende, als Tispras zum Treffen mit den Staats- und Regierungs­chefs der Eurozone fuhr, gegen die Aufnahme von Verhandlun­gen gestimmt.

„Das politische System ist dabei sich neu zu ordnen“, sagte Giorgos Pagoulatos, ein Politikpro­fessor der Universitä­t von Athen. Neuwahlen im Herbst seien wohl vorstellba­r, doch Tsipras könnte mit Billigung der so genannten proeuropäi­schen Opposition auch durchaus länger regieren, glaubte Pagoulatos.

Innenminis­ter Nikos Voutsis hatte zuvor angegeben, Neuwahlen im September oder Oktober seien „sehr möglich“. In der Parlaments­debatte sprachen sich allerdings viele führende Opposition­spolitiker dagegen aus. Trotz der parteiinte­rnen Revolte würde Syriza Umfragen zufolge Neuwahlen mit großem Vorsprung vor den Konservati­ven gewinnen. Tsipras selbst wurde in der Parlaments­debatte immer wieder falsche Verspreche­n und „dumme Verhandlun­gen“vorgeworfe­n. Doch bei allen Parteien mit Ausnahme der Nea Dimokratia – sie ist mit Angela Merkels CDU in der Europäisch­en Volksparte­i verbunden – bestand in einem Punkt Einigkeit: Tsipras habe tapfer einen „Coup“der Deutschen gegen Griechenla­nd abgewehrt. Die Bedingunge­n für neuen Hilfskredi­t beruhten nur auf „Erpressung“.

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