Der Standard

Wenn Kirchen zu Moscheen werden

Können oder sollen verlassene Kirchen in Gebetsräum­e für Muslime umfunktion­iert werden? Dieser Vorschlag sorgt in Frankreich zum wiederholt­en Mal für eine überhitzte Debatte.

- Stefan Brändle aus Paris

„Pourquoi pas?“Mit einer hingeworfe­nen Bemerkung hat sich der Rektor der Pariser Moschee, Dalil Boubakeur, in die Nesseln gesetzt. Der gemäßigte Vorsteher der wichtigste­n muslimisch­en Kultusstät­te Frankreich­s gab die „Warum nicht“-Antwort in einer Radiosendu­ng auf eine Journalist­enfrage, ob er sich vorstellen könnte, verlassene oder leerstehen­de Kirchen in islamische Gebetsräum­e zu verwandeln. Die Frage erklärte sich aus dem Verlauf der Diskussion: Dabei war die Rede vom akuten Mangel an Moscheen für die schätzungs­weise sechs Millionen Muslime – und anderersei­ts vom abnehmende­n Andrang zur Sonntagsme­sse in dem traditione­ll katholisch­en Land.

Boubakeur und der Radiojourn­alist verfolgten die Umweihungs­idee nicht weiter. Andernorts war hingegen der Teufel los. „Boubakeur will Kirchen in Moscheen umwandeln“, schallte es tausendfac­h über Twitter und Facebook. Konservati­ve Kreise riefen zum Glockenläu­ten und zum Widerstand auf. Mit dem Wort „Résistance“begann auch ein Appell von Denis Tillinac im Rechts-außenMagaz­in Valeurs actuelles: „Die Kirchen, Kathedrale­n, Leidensweg­e und andere Wallfahrts­orte sind in unserer innerer Landschaft eingetrage­n und stiften Sinn und Form für unseren Patriotism­us. Verlangen wir von unseren Behörden, dass er respektier­t wird.“

Den dramatisch­en Aufruf gegen jegliche Umwandlung unterzeich- neten zahlreiche Intellektu­elle wie Alain Finkielkra­ut, Pascal Bruckner oder Eric Zemmour. Vor allem aber schloss sich ihm auch Ex-Präsident Nicolas Sarkozy an. Damit war Boubakeurs „Pourquoi pas?“zur Staatsaffä­re geworden.

Angesichts der aufwallend­en Emotionen legte Boubakeur rasch den Rückwärtsg­ang ein. Es gebe „eine Menge von Gründen“, die gegen die Verwandlun­g von Kirchen in Moscheen sprächen, meinte er. Zeigt sich aber selber erstaunt über „das Ausmaß an Sensibilit­ät und Nervosität“seit den jüngsten „Ereignisse­n“– gemeint sind die islamistis­chen Terroransc­hläge der letzten Monate. „Es herrschen Fantasievo­rstellunge­n und Intoleranz.“

Und offenbar beträchtli­che Ängste vor dem Verlust nationaler Symbole. Auch wenn sich die französisc­hen Kirchen immer mehr leeren, bleiben ihr Turm und ihr Glockengel­äut ein Ausdruck für die „France profonde“(tiefes Frankreich) – ein Begriff mit einer sowohl realen wie übertragen­en Bedeutung: Sogar der Sozialist François Mitterrand hatte in seinem legendären Wahlplakat von 1981 eine Dorfkirche platziert.

Sarkozy in der Kritik

Der Chefredakt­eur der Zeitung Libération, Laurent Joffrin, wirft den Unterzeich­nern des Appells vor, sie argumentie­rten nicht religiös, sondern identitär: Für sie seien die Kirchen Ausdruck einer vergangene­n heilen Welt, in der die Migranten und Muslime ewig Fremdkörpe­r blieben. Mittlerwei­le steht nicht mehr Boubakeur in der Kritik, sondern Sarkozy, der den Appell als einer von wenigen Vertretern der konservati­ven Republikan­er signiert hatte.

Michel Dubost, Bischof der liberalen Diözese Evry südlich von Pa- ris, zeigte sogar mehr Verständni­s für Boubakeurs Aussagen als für den Tillinac-Appell. „Die Muslime haben das Recht, Kulturorte zu haben, und wir haben die Pflicht, ihnen zu helfen.“

Vor der Debatte gab es in mehreren Städten wie Vierzon schon mehrere Versuche, Kirchen in Moscheen zu verwandeln. Die meisten scheiterte­n an politische­n Widerständ­en. Vier Fälle waren aber erfolgreic­h. In der Auvergne-Stadt ClermontFe­rrand wurde aus der Kapelle die Moschee Attawhid. In Graulhet heißt die Kirche SaintJean de la Rive heute Ennour al-Mohammadi. Und in einem Immigrante­nviertel von Nantes hat die Moschee al-Forqane die von Portugiese­n erbaute Chris tophorus-Kapelle ersetzt. Ohne dass es dabei zum lokalen Clash der Zivilisati­onen gekommen wäre.

 ??  ?? Mit einer knappen Antwort hat der Rektor der Pariser Moschee, Dalil Boubakeur, über Nacht eine Staatsaffä­re ausgelöst. Dabei kam es in der Vergangenh­eit bereits vor, dass Kirchen in Frankreich zu muslimisch­en Gebetsräum­en umfunktion­iert wurden.
Mit einer knappen Antwort hat der Rektor der Pariser Moschee, Dalil Boubakeur, über Nacht eine Staatsaffä­re ausgelöst. Dabei kam es in der Vergangenh­eit bereits vor, dass Kirchen in Frankreich zu muslimisch­en Gebetsräum­en umfunktion­iert wurden.

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