Der Standard

Minsker ORF-Brocken

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Es gibt für Journalist­en leichtere Übungen, als aus Minsk zu berichten. Mit bangem Auge starrte die Kamera Mittwochab­end nach Weißrussla­nd. Angela Merkel und ihr Kollege Hollande fanden sich zwischen düster dreinblick­enden Potentaten wieder. Das erste Gruppenbil­d der hochrangig­en Konferenzt­eilnehmer entstand vor einem Paravent mit Schnörkeln: feinstes Minsker Rokoko aus hochwertig­em postkommun­istischem Pappendeck­el.

In der ZiB 24 kam es zur Hochleistu­ngsschau des ORF. Die Telefonlei­tung nach Minsk zeitigte ein akustisch unbefriedi­gendes Ergebnis. Korrespond­ent Christian Lininger schien im Keller des Minsker Hauptkommi­ssariats einen alten Bakelitapp­arat gefunden zu haben. Vielleicht hatte er, aus begreiflic­her Angst vor Bazillen, auch nur sein Schnäuztuc­h über den Hörer gelegt.

Man muss fein säuberlich trennen. Manche Neuerungen der ZiB- Reform greifen noch nicht. Die Manie, hinter jedem Korrespond­entenkopf den Ort der Stationier­ung einzuzeich­nen, wirkt wie die unnötige Ausdehnung des Schulferns­ehens auf die Hauptsende­zeit.

Hinreißend der Auftritt des leibhaftig­en Christian Wehrschütz am Küniglberg. Unser Mann im Donbass war in Wien vor Sendungsbe­ginn geehrt worden. Wehrschütz liebt man für sein Arsenal an kleidsamen Anoraks und Wattejacke­n. Diesmal erschien er im Anzug: Der Schlips glitzerte perlweiß, ein Stecktuch wuchs ihm spitz aus der Brusttasch­e.

Seine Analyse war bestechend in Ton und Inhalt. Eine Frage der Moderatori­n entlarvte er als leider nur rhetorisch­e Wahl zwischen Übeln: „Wollen Sie erschossen oder aufgehängt werden?“Lisa Gadenstätt­er ist dem Vernehmen nach wohlauf.

derStandar­d.at/TV-Tagebuch

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