Der Standard

Neutralitä­t: Die Rückkehr einer „Mozartkuge­l“

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Das Ende der Sowjetunio­n und der Berliner Mauerfall „degradiert­en unsere Aussenpoli­tik zum Mauerblümc­hen (...) Aber die neu entfachte Dualität zwischen dem Westen und Russland bietet eine neue historisch­e Chance, die Neutralitä­t wieder zur Geltung zu bringen.“Diese Sätze könnte in Österreich ein Grüner wie Peter Pilz oder ein Sozialdemo­krat geschriebe­n haben. Tatsächlic­h ist ihr Autor der Schweizer Nationalra­t Christophe Darbellay von der Christlich­en Partei. Seine Position war in eben in der Weltwoche zu lesen, einem sehr rechten Blatt – nahe dem Populisten Christoph Blocher.

Die österreich­ische Neutralitä­t indessen hat sich ziemlich verringert. Sie sei wie eine Mozartkuge­l, sagte deren Hauptgegne­r Wolfgang Schüssel. Sie steht nicht einmal mehr explizit in der Sicherheit­sdoktrin. Auch die Integratio­n der Republik in die EU, die Mitwirkung an sogenannte­n „battle groups“trotz Neutralitä­t schafft keine großen Probleme. Mitglied in der Nato ist Österreich trotzdem nicht. Umso überrasche­nder, dass sich die Regierung als Leihmutter für eine Neutralisi­erung der Ukraine anbietet. benso erstaunlic­h, dass Außenminis­ter Sebastian Kurz die „Urform“für die Ukraine vorschlägt. Im Einklang mit dem russischen Natobotsch­after Alexander Gruschko und innenpolit­isch unterstütz­t von Pilz und von Heinz Gärtner, dem Direktor des Österreich­ischen Instituts für internatio­nale Politik.

Wie schnell sich freilich internatio­nale Konstellat­ionen verändern können, hat die

EKrim-Krise gezeigt. Auf einmal stehen sie sich wieder gegenüber, die Nato und die Rote Armee. Und wer in den Spannungen einen neuerliche­n Kalten Krieg erblickt, übertreibt nicht sonderlich.

Für die Ukraine, das Land genau dazwischen, ist diese Lage der klassische Rahmen für einen Sicherheit­sstatus, den man nach dem Vorbild der Schweiz und Österreich­s während des Kalten Kriegs der 1950er- bis 1980er-Jahre als „immerwähre­nde Neutralitä­t“umschreibt. Als ein Territoriu­m, auf dem es keine fremden Truppen gibt und das sich Bündnissen entzieht.

Die Ukraine hätte freilich eine Schwäche, die Österreich lange Zeit durch die Außenpolit­ik Bruno Kreiskys ausgeglich­en hat, die Schweiz aber durch eine starke Landesvert­eidigung: Wer neutral ist, muss sich wehren oder zumindest internatio­nal behaupten können. er zweite Nachteil der Ukraine ist die katastroph­ale wirtschaft­liche Lage, die nur durch Sonderabko­mmen mit der EU (nach dem Vorbild der Schweiz) verbessert werden könnte. Das heißt: Der kurze österreich­ische Vorschlag hätte einen langen Weg zurückzule­gen.

Und er wäre außerdem nur dann realisierb­ar, wenn das massiv gestörte Verhältnis zwischen den USA und Russland wieder ins Lot käme. Ob die Waffenhänd­ler hier und die Oligarchen dort, die AKWBetreib­er hier, die Gaspreisge­stalter dort das auch wirklich fördern würden, kann niemand abschätzen.

Über eine ukrainisch­e Neutralitä­t ernsthaft zu verhandeln wäre immerhin ein Fortschrit­t. Ein Etappensie­g für einen dauerhafte­n Frieden. gerfried.sperl@derStandar­d.at

derStandar­d.at/Sperl

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