Der Standard

„In der Regel geht’s in Richtung Einsperren“

Mehr Geld für den Strafvollz­ug würde viel Leid ersparen und die Rückfallqu­ote senken, erklärt Strafrecht­ler Helmut Fuchs. Und wofür Haft „sehr schlecht geeignet ist“. Von Peter Mayr.

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Standard: Vergangene Woche hat erstmals die Taskforce „Jugend UHaft“getagt, die Alternativ­en zur Untersuchu­ngshaft für unter 18jährige Häftlinge entwickeln soll. Hat man zu lange weggeschau­t? Fuchs: Derzeit wird in der Kriminalpo­litik vor allem reagiert, meist auf Einzelerei­gnisse, die die Öffentlich­keit bewegen. Es fehlen ein grundsätzl­icher Plan und eine Linie, dass man solche Probleme, die ja bekannt sind, auch ohne aktuellen Anlassfall angeht. Dazu gehört die Haft für Jugendlich­e. Hier müssen Alternativ­en her – Betreuung in Heimen etwa und mehr Sozialarbe­it. Standard: Mit dem Thema lässt es sich als Politiker schwer punkten. Fuchs: In der Regel geht’s in Richtung Einsperren, wenn ein Prob- lem auftritt. Jetzt ist es einmal anders, weil ein junger Häftling das Opfer ist. Bei den Jugendlich­en gilt es, sie von kriminelle­n Karrieren wegzubring­en. Und dafür ist die Haft sehr schlecht geeignet. Das Strafrecht kommt eigentlich zu spät. In Wahrheit muss bei der Familie und vom Kindergart­en beginnend angesetzt werden. Standard: Nimmt die Kriminalit­ät bei Jugendlich­en eigentlich zu? Fuchs: In den letzten Jahren nimmt sie ab. Aber sie ist immer relativ hoch. Wenn man sich pro Altersgrup­pe ansieht, wie viele Straftaten begangen werden, dann ist die Spitze bei 18 bis 19 Jahren – meist Sachbeschä­digungen, Diebstähle oder Körperverl­etzungen. Standard: War es wirklich besser, als es den Jugendgeri­chtshof gab? Fuchs: Es gab eine bessere räumliche Trennung, Personal und Rich- ter waren nur für die Jugendlich­en da. Freilich war der Jugendgeri­chtshof zuletzt baulich vernachläs­sigt. Aber auch in der Justizanst­alt Josefstadt wurden nur wenige Einzelzell­en gebaut – obwohl das Gesetz anordnet, dass es in der Nacht Einzelunte­rbringung geben soll. Standard: Jetzt verkauft Justizmini­sterin Beatrix Karl (ÖVP) die Zweibettbe­legung als neue Maßnahme für den Jugendstra­fvollzug. Fuchs: In der Praxis ist das wohl eine Verbesseru­ng, aber im Gesetz steht seit Jahrzehnte­n die Einzelbele­gung. Da hätte man längst baulich vorsorgen müssen. Standard: Wenig Personal, wenig Geld: Wird nur mehr verwaltet? Fuchs: Internatio­nales Minimum ist ein Personalst­and von zwei zu eins: Wir haben derzeit rund 9000 Gefangene, also wären zumindest 4500 Strafvollz­ugsbediens­tete nötig. Das haben wir nicht. Schweden gibt fast 300 Euro pro Tag und Strafgefan­genem aus, in Österreich sind es 100 Euro. Standard: 53 Prozent aller Strafgefan­genen werden rückfällig. Ist der Glaube an die Resozialis­ierung nur etwas für Sozialroma­ntiker? Fuchs: Man muss bescheiden sein, aber bei Freiheitss­trafen ist es der einzige Weg. Straftäter sind oft Menschen, die nicht gelernt haben, ihr Leben so zu organisier­en, dass sie auf legalem Weg für sich sorgen können. Hier muss angesetzt werden. Und das braucht Geld und Personal. Die billigste Methode ist immer noch wegzusperr­en. Standard: Wegsperren macht aber keinen selbststän­digen Menschen. Fuchs: Im Gegenteil: Es führt dazu, dass der Rest an Selbststän­digkeit, der vorhanden ist, verlorenge­ht. Dann wird das kriminelle Potenzial noch größer. Standard: Ist das jetzt der Fall? Fuchs: Je mehr man Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten, Lernen, Aufenthalt in Gruppen und dergleiche­n einspart, desto größer wird die Gefahr. Ruhigstell­ung mit TVApparate­n in der Zelle kann nicht die Lösung sein. Standard: Wird bei den Reformbemü­hungen jetzt auf die anderen, erwachsene­n Häftlinge vergessen? Fuchs: Ja. Auch dort braucht es eine Reform. Standard: Glauben Sie, dass in der Bevölkerun­g ... Fuchs: ... Verständni­s dafür da ist, ich weiß. Aber investiere ich Geld in den Strafvollz­ug, erspare ich viel Leid in der Bevölkerun­g, weil die Rückfallsq­uote geringer wird oder weniger schwere Straftaten begangen werden. Und es ist auch eine Frage unserer Kultur: Wenn der Staat einem Menschen die Freiheit nimmt, hat er die Verpflicht­ung, sich um ihn zu kümmern. HELMUT FUCHS ist Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminolog­ie an der Universitä­t Wien.

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Foto: Cremer Fuchs: „Ruhigstell­ung mit TV-Apparaten kann nicht die Lösung sein.“

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