Der Standard

Bulgariens Regierung stemmt sich gegen Wahlen

Innenminis­ter Jowtschew und Justizmini­sterin Slatanowa: Keine Lösung für Proteste

- Markus Bernath aus Sofia

In Brüssel ist die neue bulgarisch­e Regierung noch einmal davongekom­men. Beim mündlichen Bericht in der EU-Kommission über den Fortgang von Justizrefo­rm und Korruption­sbekämpfun­g im Balkanland wurde der „Fall Peewski“am Donnerstag nicht kritisch bewertet. Der 32-jährige Medienmogu­l und umstritten­e Parlaments­abgeordnet­e Deljan Peewski war im Juni von den Koalitions­führern in Sofia zum Geheimdien­stchef gemacht worden. Nach einem Tag im Amt kündigte er seinen Rücktritt an. Zu groß war die öffentlich­e Empörung.

Daniel Smilow vom ThinktankZ­entrum für liberale Strategien in Sofia, dem intellektu­ellen Begleitsch­iff der seit Wochen dauernden Straßenpro­teste in der bulgarisch­en Hauptstadt, ist da weniger zurückhalt­end. Peewskis Ernennung habe schonungsl­os Bulgariens Krankheit gezeigt: „Politische Parteien können Unternehme­rinteresse­n nicht mehr kontrollie­ren.“

Im Gespräch mit dem Standard in Sofia stemmen sich zwei Vizepremie­rs der erst seit zwei Mona- ten amtierende­n Regierung gegen die Forderung nach neuerliche­n vorgezogen­en Wahlen. „Neuwahlen sind kein Heilmittel für diese Situation. Wir müssen nach den tieferen Gründen für die Proteste suchen und dann gemeinsam entscheide­n, wie wir mit der Krise umgehen“, erklärte Innenminis­ter Tswetlin Jowtschew. Sie sei enttäuscht von den Politikern, die nochmals Neuwahlen verlangen, sagte Justizmini­sterin Sinaida Slatanowa: „Für mich heißt das nur, sie haben keine andere Antwort auf die Probleme der Bürger.“

Slatanowa, die langjährig­e Vertreteri­n der EU-Kommission in Sofia und wie Jowtschew parteilos, verweist auf die Bürgermeis­terwahlen in Warna, der zweitgrößt­en Stadt des Landes, in der vergangene­n Woche. Die Wahlbeteil­igung lag bei nur 26 Prozent. Umfragen für Parlaments­wahlen – die jüngsten waren Mitte Mai nach dem Rücktritt der Regierung von Boiko Borissow – sehen einmal Borissows Konservati­ve, das andere Mal die nun regierende­n Sozialiste­n als stärkste Partei, aber ohne eigene Mehrheit. „Nach drei, vier Monaten Pause hätten wir eine ähnliche Regierung“, sagt Jowtschew, der Innenminis­ter. „Wer glaubt, die Leute würden dann aufhören zu protestier­en?“

Beide Minister betrachten die Straßenpro­teste nur als Fortsetzun­g der Massendemo­nstratione­n gegen hohe Stromrechn­ungen und die soziale Misere vom Jänner und Februar. Das sehen die meist jüngeren, gebildeten Bulgaren, die jetzt täglich vor dem Parlament stehen, anders: Für sie geht es um den Sturz des ganzen Parteiensy­stems mit dessen undurchsic­htigen Verbindung­en zur Geschäftsw­elt. Der Fall Peewski war nur der Auslöser.

„Es war ein politische­r Fehler des Parlaments“, sagt Justizmini­sterin Slatanowa. Die öffentlich­e Meinung sei unterschät­zt, doch Peewskis Ernennung rasch korri- giert worden. Man könne die Regierung nun nicht für einen Fall allein bestrafen. Jowtschew verheimlic­ht nicht, dass er von Regierungs­chef Plamen Orescharsk­i, einem den Sozialiste­n nahestehen­den Finanzfach­mann, vor vollendete Tatsachen gestellt worden war. Er sei einen Tag vor der Abstimmung im Parlament über den Plan für Peewskis Ernennung informiert worden. Diskussion­en habe es nicht gegeben: „Es war eine politische Entscheidu­ng.“

Jowtschew hatte selbst den staatliche­n Geheimdien­st Dans geführt, bevor er dann als Kabinettsc­hef in das Amt von Staatspräs­ident Rossen Plewneliew wechselte. Profession­elle sollten Dans leiten, sagt Jowtschew, der als junger Mann nach der Wende im Geheimdien­st begann. Am Donnerstag schlug der Premier den amtierende­n Dans-Chef Wladimir Pisantsche­w – einen Profi – nach öffentlich­er Anhörung als neuen Geheimdien­stleiter vor.

Dass nun auch der Staatspräs­ident nach Neuwahlen ruft, verwundert Jowtschew. Der Verfassung gemäß müsse sich der Präsident um den politische­n Konsens bemühen. Der Dialog mit Borissows Partei, der stärksten Kraft im Parlament, sei notwendig. Die nimmt aber seit einem Monat nicht mehr an den Sitzungen teil.

 ?? Foto: AP ?? Kein Tag ohne Tröte: In Sofia protestier­en Bürger gegen die von den Rechtsextr­emen abhängige Regierung Orescharsk­i.
Foto: AP Kein Tag ohne Tröte: In Sofia protestier­en Bürger gegen die von den Rechtsextr­emen abhängige Regierung Orescharsk­i.
 ?? F.: Innen-, Justizmini­sterium ?? Vizepremie­rs Jowtschew Slatanowa: „Neuwahlen Heilmittel.“ (re.), kein
F.: Innen-, Justizmini­sterium Vizepremie­rs Jowtschew Slatanowa: „Neuwahlen Heilmittel.“ (re.), kein
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria