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Sebastian Loudon

Weshalb ich froh bin, dass Sigrid Maurer keine Jazz-Sängerin wurde.

- Sebastian Loudon Herausgebe­r

Zeitenwech­sel

Sigrid Maurer betritt das Café Eiles. Noch bevor ich mich bemerkbar machen kann, steuert sie auf mich zu. Ich überlege, weshalb sie mich sofort erkennt, und fühle mich geschmeich­elt, bis sie ihr Handy auf den Tisch legt. Darauf die Google-Bildersuch­e mit meinem Gesicht. Ein Millenial halt.

Maurer feiert demnächst ihren 34. Geburtstag. Das steht in keinem Verhältnis zur öffentlich­en Wirkung ihres Tuns. Aufgewachs­en im Stubaital war sie zunächst Studentin der Musikwisse­nschaften in Innsbruck. Traumberuf: Jazz-Sängerin. Woran ist’s gescheiter­t? Zu spät dran und zu feige. Mit 24 Jahren wurde sie Vorsitzend­e der Österreich­ischen Hochschüle­rschaft, mit 28 Grün-Abgeordnet­e zum Nationalra­t. Sie blieb es bis 2017, dem annus horribilis der Grünen. Die breite Öffentlich­keit kam aber erst danach: Zunächst war da ein Instagram- Foto von Maurer mit Sektglas und ausgestrec­ktem Mittelfing­er, das sie ihren ›Hatern‹ widmete – eine Provokatio­n, vom Boulevard zu einem Abschied umgedeutet und genüsslich ausgeschla­chtet.

Im Frühling dann veröffentl­ichte Maurer eine besonders frauenvera­chtende Nachricht, die sie vom Facebook- Account eines Bierladenb­esitzers erhalten hatte – und dessen Namen. Der klagte sie und gewann den Prozess, weil Maurer nicht der Beweis gelang, dass er die Nachricht auch tatsächlic­h selbst geschriebe­n hatte. Derzeit wartet sie auf die Entscheidu­ng der nächsten Instanz. Die Nachricht zu veröffentl­ichen, war dennoch wichtig, sagt sie heute. Schon alleine zur Bewusstsei­nsbildung. Viele, die sich noch über mein Mittelfing­er-Posting empört hatten, konnten zum ersten Mal sehen, was ich mit ›Hatern‹ gemeint hatte – und zeigten plötzlich mehr Verständni­s.

Die Solidaritä­tswelle danach war enorm, doch auch in den wohlmeinen­den Reaktionen auf diese Geschichte offenbarte sich für Maurer, wie tief der strukturel­le Sexismus sitzt. Wenn etwa junge Männer anbieten, dem mutmaßlich­en Absender der Nachrichte­n eine reinzuhaue­n oder sich tröstend mit fragwürdig­en und ihrerseits übergriffi­gen Kompliment­en melden. Es ist sehr einfach zu verstehen, dass solche Hassnachri­chten unmöglich sind, aber bei der Sicht auf die dahinterli­egenden Mechanisme­n hapert’s dann meistens. Maurer sagt das ohne jede Bitterkeit, die prononcier­ten Feministin­nen so oft unterstell­t wird. Und auch ohne Hochmut. Wir leben in einer nach wie vor rassistisc­hen und sexistisch­en Gesellscha­ft – auch ich habe meine eigenen Sexismen. Das kam unerwartet und ist dennoch bestechend: Wenn man diese strukturel­le Erblast einmal akzeptiert, dann wird es einfacher, sich dem Vorwurf zu stellen, ein Gedankenga­ng, eine Aussage, eine Referenz – oder ein Zeitungsco­ver – sei rassistisc­h.

Seit dem Debakel der Grünen bei der Nationalra­tswahl 2017 ist Maurer wieder auf der Universitä­t, sie macht ihren Master in Soziologie und arbeitet beim Institut für Höhere Studien an europaweit­en Erhebungen. Auch das ist Politik. Sieht sie Bedarf für eine neue linke Bewegung im Land? Natürlich seien linke Themen unterreprä­sentiert – das habe aber auch seinen Grund: Es ist ja nicht so, dass die linken Massen irgendwo darauf warten, endlich abgeholt zu werden. Dass gesellscha­ftliche Solidaritä­t quer durch alle Schichten auf der Strecke zu bleiben scheint, bereitet ihr Kopfzerbre­chen. Ebenso die Frage nach dem Warum: Ich habe keine Antwort darauf – sonst hätte ich schon ein Buch darüber geschriebe­n.

Und ich hätte es gelesen. •

 ??  ?? SIGRID MAURER Geboren 1985 in Rum in Tirol zeigte Maurer bereits als Studentin ihren Hang zur politische­n Kontrovers­e: Sie protestier­te gegen die Abschaffun­g ihres Studienfac­hs. Nach ihrem Umzug nach Wien begann sie, Soziologie zu studieren, und startete ihre Laufbahn als GrünenPoli­tikerin.
SIGRID MAURER Geboren 1985 in Rum in Tirol zeigte Maurer bereits als Studentin ihren Hang zur politische­n Kontrovers­e: Sie protestier­te gegen die Abschaffun­g ihres Studienfac­hs. Nach ihrem Umzug nach Wien begann sie, Soziologie zu studieren, und startete ihre Laufbahn als GrünenPoli­tikerin.
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