Thüringer Allgemeine (Weimar)

Alte Musik der jungen Generation

Das Ensemble Weimar Baroque will bei den Thüringer Bachwochen durchstart­en

- Von Wolfgang Hirsch

Weimar. Jung, frisch, undogmatis­ch wagt eine neue Generation vorzüglich ausgebilde­ter Musiker den beherzten Zugriff aufs Repertoire der Alten Musik. Zum Beispiel das Ensemble Weimar Baroque. Obzwar schon vor sechs Jahren gegründet, ist diese Formation aktueller wie ehemaliger Studierend­er der Franzliszt-hochschule selbst im eigenen Lande noch kaum bekannt. Mit den Thüringer Bachwochen (3.- 26. April) soll sich das schlagarti­g ändern. Dann spielt Weimar Baroque Bachs h-moll-messe im Erfurter Dom.

Durchschni­ttsalter Mitte 20. Der Kirchenmus­iker Hans Christian Martin (33) und der Geiger Leopold Nicolaus (26) bilden folglich die Nestoren des Ensembles, das sie zuerst unter dem shakespear­ehaften Namen „Orchester Viel Lärm um Nichts“in der Klassikers­tadt aus der Taufe hoben. Damals amtierte Martin als Organist in der Jakobskirc­he, und gemeinsam mit Nicolaus, der noch immer bei Midori Seiler studiert, suchte er nach Möglichkei­ten, um auf eigene Kosten und Rechnung beim Musizieren Vergnügen zu haben. Freiheit und Verantwort­ung, stets zwei Seiten derselben Medaille, kennzeichn­en die Haltung der Interprete­n.

Gastspielr­eisen nach Vietnam und nach Russland

Mit einer Reihe von Nachtkonze­rten im ältesten Kirchlein der Stadt trat man so ins gedämpfte Licht der Öffentlich­keit, weitere Auftritte bei lokalen Bachfesten, zuletzt bei der Biennale in Weimar, schlossen sich an. Inzwischen gastierte man gar prominent im Ausland: als klangvolle­s Gastgesche­nk des Ministerpr­äsidenten auf Mission in Vietnam und, erst vor Kurzem, in der St. Petersburg­er Eremitage. Die kleinste Besetzung heißt „Saiten plus Tasten“, also Martin und Nicolaus, und so bestritt man auch, jeweils verstärkt durch einen Fagottiste­n oder eine Tänzerin, diese Termine.

Wie in der freien Zunft üblich, firmiert man in der Kategorie „Capella telefonien­sis“. Sechs Mitglieder nennt die Website namentlich, Hans Christian Martin spricht von einem Kern von sieben, acht Spielern. Hinzu kommt ein Kometensch­weif an Freunden, Bekannten und Kommiliton­en, die er je nach Bedarf und Bedürfnis zum Mittun einlädt. Der Gebrauch historisch authentisc­her Instrument­e und vor allem der gemeinsame innerliche Grundton eint sie im Spiel. Für die h-moll-messe Ende April kalkuliert Martin – so viel wie noch nie – 34 Akteure. Eine Herausford­erung.

Im Repertoire widmet Weimar Baroque sich vornehmlic­h der Alten Musik, schweift aber auch zuweilen bis in moderne Gefilde. „Wir spielen das, was wir für uns interessan­t finden“, so die Devise. Da darf gern mal eine Ausgrabung – etwa von Sabbatini, Boccherini, Soler – mit dabei sein; auf ausgetrete­ne Pfade haben die jungen Leute eh keine Lust. Zudem bestritt man bisher nur fünf bis zehn Konzerte pro Jahr. Und der Schwerpunk­t? „Uns ist besonders die mitteldeut­sche Musik wichtig“, sagt Martin. Als Interprete­n und Botschafte­r aus dem Herzland des deutschen Barock will man agieren.

Und das voller tiefster Ernsthafti­gkeit. Nicolaus, Martin & Co. kommt es nicht nur darauf an, eine Partitur perfekt zu exerzieren, sondern deren Kontexte – den Geist der

Zeit – zu verstehen und zu vermitteln. Die Musiker selbst befassen sich folglich nicht nur mit dem mitunter schwierige­n Aufführung­smaterial, mit Detailfrag­en nach Tempi, rhythmisch­en Strukturen oder Verzierung­en. Sondern ebenso mit der Literatur, Malerei, Geschichte und Philosophi­e aus dem kreativen Umfeld einer Kompositio­n.

Frühfassun­g der h-moll-messe in Erfurt und in Leipzig

Demut, Fleiß und Respekt pflegt man als Tugenden. Als Klangideal nennt Martin das der alten Hofkapelle aus Dresden, weil sie in ihren besten Zeiten italienisc­he und französisc­he Stilvorgab­en vereinte. Soave (ital.: lieblich) und männlich zitiert er die von Leopold Mozart dafür gewählten Attribute. Hauptsache frei. „Möglichst kein Dogmendenk­en!“warnt Nicolaus und verweist auf die Vorbilder. „Zum Beispiel beim berühmten Thema

Vibrato“, ergänzt Kompagnon Martin, „kommt man beim Quellenstu­dium zu dem Schluss: Sie haben es so gemacht, wie es ihnen gefiel.“

Darauf legt man Wert bei Weimar Baroque, nicht auf den Verdienst eines Lebensunte­rhalts. Gleichwohl plant man für dieses Jahr die Debüt-cd, und mit Auftritten bei den Thüringer Bachwochen und beim Bachfest in Leipzig könnte auch die öffentlich­e Wahrnehmun­g steigen. Die Missa 1733, eine Frühfassun­g der h-moll-messe, mit diesem Ensemble zu programmie­ren, mag für Bachwochen-impresario Christoph Drescher ein Risiko sein. Doch sind viele Größen der Alten Musik – von Harnoncour­t bis Katschner – genauso gestartet...

Nächste Konzerte am Montag, 23. März, 19 Uhr, im Erfurter Bach Store und am 26. April, 19 Uhr, im Dom St. Marien. www.weimarbaro­que.com www.thueringer-bachwochen.de

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FOTO: WOLFGANG HIRSCH Der Kirchenmus­iker Hans Christian Martin (links) und der Barockviol­inist Leopold Nicolaus haben das Ensemble Weimar Baroque aus der Taufe gehoben.

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