Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Online-Pfarrerin will Kirche modernisieren
Jennifer Scherf setzt auf die sozialen Medien, um Menschen zu treffen, zu beraten und für sie da zu sein
Ein Treffen in einer Kirche? Das möchte Jennifer Scherf auf keinen Fall – obwohl ein Gotteshaus bei ihrem Job naheliegend wäre. Scherf ist Pfarrerin, aber: „Mir geht es weniger darum, Menschen in die Kirche zu holen, als zu zeigen, dass Kirche da ist, wo die Menschen sind und dass sie nicht langweilig und starr ist“, sagt sie. Als neue und einzige OnlinePfarrerin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) will sie Menschen in den sozialen Medien treffen – und nach ihrer offiziellen Einführung am Samstag dem Thema Religion einen moderneren Anstrich verleihen.
Die 35-Jährige wuchs in Wolfsburg auf, absolvierte ihr Vikariat – den praktischen Teil der evangelischen Pfarrerausbildung – in Leipzig und lebt dort noch mit ihrer Frau und ihrem Kind. Beruflich war sie in den vergangenen Jahren bereits auf dem Gebiet der EKM unterwegs – als Pfarrerin in Leuna und im Unteren Geiseltal leistete sie klassische Gemeindearbeit, wie sie im Gespräch erzählt.
Scherf möchte auch kirchenferne Menschen erreichen „Über die Corona-Zeit habe ich angefangen, Formate zu entwickeln, um die Gemeinde über digitale Kanäle zu erreichen und mit den Menschen in Kontakt zu bleiben“, sagt sie. Anfang des Jahres sei das Angebot gekommen, Online-Pfarrerin mit einer Vollzeitstelle zu werden.
Ganz neu sind die Bemühungen der EKM im digitalen Raum nicht.
Vor drei Jahren wurde die sogenannte Online-Kirche als Projekt gegründet, das Scherfs Vorgänger, der Pastor Ramón Seliger, mit einer halben Stelle begleitete. Die OnlineKirche ist bislang mit einer Internetseite und Präsenz in den sozialen Medien aktiv.
„In den vergangenen drei Jahren ist eine Online-Gemeinde entstanden, die sich einbringt“, sagt Scherf. Das freue sie, gleichzeitig wolle sie auch kirchenfernere Menschen erreichen. „Ich will raus aus der kirchlichen Blase und auch an anderen Orten präsent sein.“Wie genau ihr Arbeitsalltag aussehen soll, wisse sie selbst noch nicht, sagt Scherf. „Wir wollen erst einmal zum Ende des Jahres die Homepage und die Auftritte in den sozialen Medien neu aufstellen“, sagt sie.
Darüber hinaus? In jedem Fall solle ihre Arbeit mehr sein als klassische Gemeindearbeit, die ins Netz übertragen wird. „Vielleicht gibt es alle paar Monate mal einen ZoomGottesdienst, aber ich möchte auch ganz andere Sachen. Ich möchte gesellschaftliche Themen christlich beleuchten und christliche Themen gesellschaftsrelevant aufarbeiten.“
Im Mai nächsten Jahres seien Themenwochen in sozialen Medien geplant, dazu gebe es vielleicht Podcasts. „Ich möchte über Rassismus und Diversität in der Kirche reden, über Seenotrettung.“Dass sie dieses Experiment wagen kann, hat Scherf laut eigener Einschätzung auch der Corona-Pandemie zu verdanken. Gerade im Lockdown hätten sich viele Menschen einsam gefühlt und seien froh gewesen über Online-Angebote ihrer Gemeinde.
„Ich weiß nicht, ob diese Formate vor Corona bei den Menschen im Gemeindeleben Anklang gefunden hätten. So waren sie aber eine nötige und gut angenommene Alternative.“Ein Einzelfall war die Digitalisierung der Gemeinde nicht, wie es von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) heißt. Während der Pandemie hätten viele Gemeinden kreative Online-Gottesdienstformate entwickelt, sagt Oberkirchenrätin Stefanie Hoffmann aus der EKD-Stabsstelle.
In einer Umfrage hätten 81 Prozent der Befragten angegeben, dass sie ein digitales Verkündigungsformat angeboten hätten. „Der evangelische Gottesdienst ist somit kreativer und digitaler geworden.“Es gebe mittlerweile auch Pfarrerinnen und Pfarrer im digitalen Raum, die dafür einen Teilauftrag hätten. Ob es auch Vollzeitstellen gibt, kann die EKD nicht beantworten. Von der Deutschen Bischofskonferenz heißt es, dass es dort keine reinen Online-Pfarrer gebe. Zum Pfarrer gehöre die leibhaftig lebendige Gemeinde. Man sei aber froh und dankbar, dass viele Pfarrer, Seelsorgerinnen und Seelsorger neben der konkreten Arbeit in den Gemeinden vor Ort auch ihre Online-Seelsorge spezialisiert und professionalisiert hätten, sagt ein Sprecher.
Einig sind sich die neue OnlinePfarrerin Scherf und die Kirchen, dass die digitalen Formate eine Erweiterung und kein Ersatz der analogen Gemeindearbeit sein sollen. „Wir sollen als Gemeinde in der Welt sein. Im Netz ist die Welt stark vertreten, also gehört auch die Kirche dorthin“, sagt Scherf.