Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Die Kinder waren völlig verschüchtert“
Die Journalistin Beate Greindl (Foto: privat) beschäftigt sich seit Jahren mit Sekten. Sie hat für den WDR eine Dokumentation über Gerhard L. gedreht (aktualisierte Wiederholung am 25. September im WDR). Katja Korf hat mit ihr über ihre Recherchen und Erkenntnisse gesprochen.
Sie haben für die Dokumentation auch mit den Kindern gesprochen, die damals bei Anhängern von Gerhard L. lebten. Was haben Sie als besonders eindrücklich erlebt?
Die Kinder waren völlig verschüchtert. Sie waren Fremdem gegenüber sehr misstrauisch, es fiel ihnen sehr schwer, mit mir normal zu sprechen. Es herrscht in der Gruppe eine stete Anspannung, die Situation war fast surreal.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat Medienberichte über Gerhard L. als Vorverurteilung und damit strafmildernd gewertet. Was sagen Sie dazu?
Das kann ich nicht nachvollziehen. L. hat die mediale Aufmerksamkeit genossen und sie als Chance gesehen, seine Weltsicht zu verbreiten. Er hat auch während des Prozesses in Nürnberg immer wieder Interviews gegeben. Er hat offensichtlich nicht unter der Berichterstattung gelitten.
Ein Biologe vom Bodensee bezweifelt öffentlich die Existenz des Masernvirus, Eltern verweigern schulmedizinische Behandlung für ihre Kinder – nimmt so etwas zu oder wird nur mehr darüber berichtet?
Ich bin absolut überzeugt davon, dass solche Fälle häufiger vorkommen. Es gibt immer mehr kleine, esoterische Gruppen, während größere wie Scientology oder die Zeugen Jehovas eher stagnieren. Das ist deshalb gefährlich, weil diese kleineren Gruppen oft unterschätzt und nicht ernst genommen werden – wie lange auch im aktuellen Fall.
Was ist typisch für solche Gruppen?
Sie ziehen sich aus der Gesellschaft zurück, lehnen wissenschaftliche Erkenntnisse ab, erklären die Welt stattdessen mit dubiosen Energieströmen oder unsichtbaren Kräften. Sie misstrauen in der Regel auch der Schulmedizin.