Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Türken wollen eine Regierung

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ast zwei Monate sind seit der türkischen Parlaments­wahl vom 7. Juni vergangen, doch das Land hat immer noch keine neue Regierung. Die beiden größten Parteien verhandeln zwar über die Bildung einer Großen Koalition wie in Deutschlan­d. Doch es gibt erhebliche Zweifel, dass das Bündnis zustande kommt – nicht zuletzt wegen der Haltung von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Ihm wird nachgesagt, schnelle Neuwahlen anzustrebe­n. Laut Umfragen würde ein neuer Urnengang an der Lage aber nicht viel ändern.

Bei der Wahl im Juni hatte die Regierungs­partei AKP von Erdogan und Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu nach mehr als zwölf Jahren der Alleinregi­erung ihre Mehrheit im Parlament eingebüßt. Bis zum 23. August haben die Politiker Zeit, eine Regierung auf die Beine zu stel- len. Doch das gestaltet sich schwierig. Die Kurdenpart­ei HDP scheidet für Davutoglu als Partnerin von vorneherei­n aus – die AKP wirft der HDP vor, als Befehlsemp­fängerin der verbotenen kurdischen Rebellenor­ganisation PKK an der jüngsten Eskalation der Gewalt mit Anschlägen und Luftangrif­fen mitschuldi­g zu sein. Die Nationalis­tenpartei MHP will mit der AKP nicht koalieren.

Große Koalition wäre möglich

Bleibt die Variante einer Großen Koalition aus AKP und der säkularen Opposition­spartei CHP, die von der Wirtschaft und auch von Politikern wie Ex-Präsident Abdullah Gül favorisier­t wird. AKP-Mitbegründ­er Gül sprach sich für die Elefantenh­ochzeit aus, weil so eine sehr stabile Regierung gebildet werden könne. Dabei verwies er ausdrückli­ch auf das Beispiel Deutschlan­d.

Rund 30 Stunden lang haben Delegation­en von AKP und CHP in den vergangene­n Wochen miteinande­r verhandelt. Dabei seien viele Übereinsti­mmungen, aber auch viele Differenze­n festgehalt­en worden, sagte CHP-Unterhändl­er Haluk Koc. Doch das eigentlich­e Problem sieht die CHP nicht in Sachfragen, sondern im Präsidente­npalast. „Herr Davutoglu will wirklich eine Regierung bilden und die Probleme des Landes lösen“, sagte CHP-Chef Kemal Kilicdarog­lu. „Aber die Person im Präsidente­npalast erlaubt das nicht.“

Ziel Präsidials­ystem

Offiziell unterstütz­t Erdogan, der in der AKP nach wie vor die Zügel in der Hand hält, zwar das Ziel einer stabilen Regierungs­koalition. Laut Presseberi­chten hofft Erdogan, dass die AKP bei einer Neuwahl die Parlaments­mehrheit wieder erobern könnte – und dass er dann doch noch sein Ziel eines Präsidials­ystems verwirklic­hen kann. Kritiker sehen das jüngste Vorgehen Ankaras gegen die PKK und die Aufkündigu­ng des Friedenspr­ozesses mit den Kurden als Versuch Erdogans, die HDP unter die für den Parlaments­einzug entscheide­nde Zehnprozen­t-Hürde zu drücken und nationalis­tische Wähler zu gewinnen. Die einzige Schuld seiner Partei liege darin, im Juni 13 Prozent erhalten zu haben, sagte HDP-Chef Selahattin Demirtas.

Behlül Özkan, Politologe an der Istanbuler Marmara-Universitä­t, geht davon aus, dass Erdogan und Davutoglu bis zu den Neuwahlen mit einer AKP-Minderheit­sregierung weitermach­en wollen. Die Frage ist, ob Erdogans Plan aufgeht. Laut einer Umfrage wollen zwei von drei Wählern eine Regierung – und keine Neuwahlen. (AFP)

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