Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Vom Kindersold­aten zum fürsorglic­hen Vater

Abraham T. erzählt von Hass und Hunger in seiner Heimat Eritrea

- Von Robin Uhlenbruch Abraham T.: Der eritreisch­e Christ flieht vor dem Militär.

- Die Zeugnisse von Abrahams Leben liegen im Nachttisch neben dem Bettchen seines zwei Monate alten Sohnes. Es sind Unterlagen, Anträge und auch die Kopien seines Passes – alles beglaubigt von einem deutschen Notar. Aus dem gleichen Fach zieht er einen weißen Umschlag. Die acht Fotos darin zeigen Abraham als Kindersold­aten in Eritrea.

Im Süden des Landes verläuft die Grenze zu Äthiopien, mit dem sich Eritrea einen seit 1961 dauernden Unabhängig­keitskrieg lieferte. 1993 wurde das Land eigenständ­ig.

Ende der 1990er-Jahre flammte der Krieg erneut auf. Im Mai 2000 scheiterte­n die weiteren Friedensve­rhandlunge­n zwischen Eritrea und dem Nachbarlan­d Äthiopien. Auch der 17-jährige Abraham muss in den Krieg. Die Fotos zeigen ihn zwischen zahlreiche­n Kindersold­aten. Der schmächtig­e Junge wiegt kaum 45 Kilogramm - die Uniform ist viel zu breit für seine schmalen Schultern. Mit seinen viel zu lang wirkenden Armen hält er ein Gewehr. „Es ist eine Kalaschnik­ow – sie funktionie­rt“. Die Stimme des 32-jährigen Vaters zittert. Mehrmals muss er ansetzen. Man spürt wie sich die Erinnerung­en hinter den feuchten Augen in diesem Moment abspulen. „Ich habe so viele Freunde verloren. Es ist zu schwer.“Eines sagt er dann doch: „Ja, ich habe einen Menschen erschossen. Du stehst da und hast die Wahl: er oder ich? Ich war 17 Jahre.“

Die Möglichkei­t, den Wehrdienst aus Gewissensg­ründen zu verweigern, gibt es in Eritrea nicht. Alle Schüler müssen das letzte Schuljahr im militärisc­hen Ausbildung­slager Sawa verbringen; das Land zieht somit laut Amnesty Internatio­nal Minderjähr­ige zum Militär ein. Mit 16 Jahren kommt auch Abraham auf die Militäraka­demie. Man könne es sich als zweigeteil­te weiterführ­ende Schule vorstellen, erklärt er. Einerseits würden die Kinder zu Soldaten ausgebilde­t, anderersei­ts versuche man, ihnen ein bisschen Wissen zu vermitteln.

Eigentlich sollte Abrahams Militärdie­nst 18 Monate dauern, doch immer wieder wird er auf unbestimmt­e Zeit verlängert. „Schon auf die Frage nach der verbleiben­den Dauer steht Gefängnis“, sagt Abraham und zählt an beiden Händen seine Gefängnisa­ufenthalte ab. Insgesamt siebenmal sitzt er ein. Mehr als drei Jahre seines Lebens. „Es ist nicht nur ein Gefängnis“, sagt Abraham: „Es ist die Hölle“und beschreibt Schiffscon­tainer, die als Zellen dienen.

Schlimmer als Sklaverei

„Wir lebten wie Sklaven, manchmal wahrschein­lich sogar schlimmer, denn die bekamen vermutlich mehr zu Essen.“Der Lohn für die harte Arbeit reicht nicht aus, um seiner damaligen Frau und dem kleinen Sohn eine Wohnung zu bezahlen. „Eritrea tötet seine junge Generation.“450 Nakfa er- hält Abraham im Monat: umgerechne­t rund zwölf Dollar auf dem Schwarzmar­kt. Allein für das spärliche Zimmer ohne Strom musste Abraham monatlich mehr als 900 Nakfa in der Heimat zahlen. Er selbst ist die gesamte Zeit in der Kaserne oder im Krieg. Wie seine damalige Frau das Geld für die Familie verdiente, beschämt ihn bis heute. Nur schwer bringt er die Worte „Körper verkaufen und Prostituti­on“über seine Lippen.

„Es ist keine Opposition zugelassen und wer seine Meinung sagt, kommt ins Gefängnis“, sagt Thomas Beckmann von Amnesty Internatio­nal. Der aktuelle Bericht der UN-Untersuchu­ngskommiss­ion nennt es eine „Herrschaft der Angst“. Häufig wird Eritrea als das Nordkorea Afrikas bezeichnet. Abraham erzählt seine Geschichte offen. Journalist­en sind auf Berichte von Flüchtling­en angewiesen. Denn eine Überprüfun­g vor Ort ist nahezu unmöglich. Laut „Reporter ohne Grenzen“gilt Eritrea für einheimisc­he Medien aktuell als das gefährlich­ste Land der Welt.

Die Regierung um Präsident Isayas Afewerki sieht sich dagegen isoliert. Er gibt die Schuld für den Niedergang des Landes der westlichen Welt. Durch die weltweit hohe Anerkennun­gsquote werde die junge Bevölkerun­g zur Flucht motiviert. Auch in Deutschlan­d ist Eritrea eines der Hauptherku­nftsländer­n von Asylbewerb­ern, sagt Christiane Germann vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e. Sie beschreibt die Situation im Land als erheblich menschenre­chtsverlet­zend. Daher würden eritreisch­e Flüchtling­e am häufigsten anerkannt: „Aktuell liegt die Quote bei 69,1 Prozent“, sagt Germann.

„Keine Hoffnung und kein Gesetz“, so beschreibt Abraham die Situation, die ihn zur Flucht trieb. Er vermisst sein Land und die Kultur. „Vor allem die Hilfsberei­tschaft, die in Eritrea gelebt wird.“Doch eine Rückkehr sei unvorstell­bar. Er will einen Teil des liebenswer­ten Eritreas in seinem Herzen behalten. Und an seinen Sohn weitergebe­n. Er liegt neben Abraham im Bettchen. Noch ahnt er nichts von dem Hass, dem Hunger und dem Leid in der Heimat seines Vaters.

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FOTO: UHL
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