Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Oberschwabens Tiger
Immer mehr Deutsche halten exotische und ausgefallene Tiere – Kritik an Gesetzeslücke
- Mit einem dicken Stück Rindfleisch lockt Roland Rohr Tigerdame Bela an das Gitter des Wildtiergeheges, das in seinem Garten steht. Während das Tier zu fressen beginnt, wird es von Tierärztin Johanna Painer betäubt, indem sie ihm – auch durch die Gitterstäbe – einen Pfeil von hinten in den Rücken schießt. Das Tigerweibchen jault. Wenige Sekunden später sackt es in sich zusammen.
Die einjährige Tigerdame wird von mehreren Tierärzten gleichzeitig untersucht, bevor sie zusammen mit ihrem Bruder Shahrukh, ebenfalls narkotisiert, in einen Lastwagen verladen und von Mittelbuch bei Biberach nach Maßweiler in Rheinland-Pfalz gebracht wird.
Waschbären, Frettchen, Puma
„Ich kann es kaum fassen. Es ist, als würde man mir meine Kinder wegnehmen“, sagt Rohr. Bela und Shahrukh sind vor 15 Monaten auf dem Tierhof geboren worden. Ihre Eltern leben schon seit vielen Jahren bei Rohr und seiner Lebensgefährtin auf dem alten Aussiedlerhof in Mittelbuch. Rohr hat sie als Babys aus einer Zucht gekauft. Zusammen mit ihnen wohnen dort 50 weitere Tiere, darunter Waschbären, Frettchen, Stink- tiere und ein Puma. Der Abtransport der beiden Jungtiger ist das traurige Ende monatelanger Verhandlungen zwischen Rohr, dem Veterinäramt des Landkreises Biberach und der Tierschutzorganisation Vier Pfoten. Rohr hat die Verhandlungen verloren. „Er musste nicht nur die beiden Tigerjungen abgeben, sondern sich auch verpflichten, die Nachzucht einzustellen, sprich, den Vater kastrieren zu lassen“, sagt Bernd Schwarzendorfer vom Landratsamt Biberach.
Das Schicksal von Bela und Shahrukh ist exemplarisch für einen Trend in Deutschland: „Des Menschen bester Freund soll heute exotisch sein, ausgefallen und selten“, sagt Biologin Adeline Fischer von Pro Wildlife. Bestellen kann man die Tiere teilweise ganz einfach im Internet: Selbst Löwen und Braunbären werden hier zum Kauf angeboten. Insgesamt fand Pro Wildlife bei einer fünfjährigen Untersuchung von zwei Online-Tierbörsen Angebote für 10 120 exotische Säuger aus knapp 300 Arten.
In Baden-Württemberg gibt es – im Gegensatz zu Bayern – kein Ge- setz, das die Haltung von Wildtieren wie Löwen, Pumas oder Tigern verbietet. Wie viele Wildtiere in deutschen Häusern gehalten werden, ist allerdings nicht bekannt – eine vom Bundeslandwirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Analyse soll dazu gerade Informationen beschaffen.
Rohr musste seine beiden Tigerjungen abgeben, weil er nicht genug Platz für vier Großkatzen hatte. Ein Säugetiergutachten, das das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Mai 2014 heraus gegeben hat, schreibt 100 Quadratmeter Fläche pro Tiger vor. Das Tigergehege von Roland Rohr misst nur etwas mehr als 200 Quadratmeter. „Unser Gehege war quasi plötz- lich über Nacht zu klein und wir konnten nicht schnell genug reagieren“, beschwert sich Rohr.
Gefehlt hat es am Ende am Geld: Zwischen 30 000 und 40 000 Euro hätte die Rohrs die Erweiterung des Geheges gekostet. Eine Summe, die für den gelernten Maschinenbauer und seine Lebensgefährtin unaufbringbar war. Zumal der Unterhalt für die exotischen und nicht-exotischen Tiere in Mittelbuch sowieso schon teuer ist. „Allein das Futter für die Tiger kostet uns im Monat mehr als tausend Euro“, sagt Rohr. Das Paar finanziert seinen Hof teilweise aus Spenden.
Bela und Shahrukh sind nicht die ersten Tigerkinder, die Rohr und sei- ne Lebensgefährtin verlieren: Aroon, erster Nachwuchs der beiden Elterntiere und Einzelkind, starb kurz nach der Geburt an der Glasknochenkrankheit – ebenso wie Imara, die aus demselben Wurf wie Bela und Shahrukh stammte. Beide Tiger hatten die Rohrs mit der Flasche aufgezogen, weil sie nicht von der Mutter tranken. Imara hatte sogar ein eigenes Zimmer im Wohnhaus des Paares. „Wir dachten zunächst, die Glasknochenkrankheit sei ein Gendefekt. Mittlerweile bin ich aber davon überzeugt, dass meine beiden Tiger von der Aufzuchtmilch krank geworden sind“, meint Rohr. Er habe sich mit anderen Züchtern unterhalten, deren Tiger nach der Aufzucht mit der Flasche an derselben Krankheit litten. Rohr möchte nun die Überreste von Imara noch einmal genau untersuchen lassen.
Unberechenbare Gefahren
„Man kann Tiger, Löwen oder Pumas eben einfach nicht artgerecht im Wohnzimmer halten“, sagt Martina Klausmann vom Landestierschutzverband Baden-Württemberg. Oft würden Wildtiere auch nur mit der Flasche aufgezogen, um sie vermeintlich zahm zu halten. „Aber da braucht man sich nicht in die Tasche zu lügen: Ein Wildtier im Garten wird nie zahm. Es bleibt immer eine Gefahr – und zwar nicht nur für dessen Besitzer, sondern für die ganze Bevölkerung in der näheren Umgebung“, sagt sie. Es reiche im Ernstfall schon aus, wenn durch ein Gewitter oder Ähnliches das Gehege der Tiere beschädigt würde. „Und dann sind die Tiger los.“Sie fordert ein Gesetz, das die Haltung von gefährlichen Tieren auch in Baden-Württemberg verbietet.
Wenn Roland Rohr seine Tiger füttert, lockt er sie zunächst in einen abgetrennten Teil seines Geheges. Dann wirft er Rindfleischbrocken auf den Boden und öffnet die Tür wieder von außerhalb. In einem Raum ist er mit den Wildkatzen nie.
Auch wenn das Gehege laut Vorschrift zu klein für vier Tiger war: Gegen den Vorwurf schlechter Tierhaltung wehrt sich Rohr vehement. „Organisationen wie Vier Pfoten holen ja normalerweise nur Tiere aus schlechter Haltung, da wird man dann gleich in eine Schublade gesteckt.“Schon vor einigen Monaten habe die Organisation ihm einen Standardvertrag für die Beschlagnahmung von Tieren zugeschickt, in dem Rohr die Rechte für die mediale Begleitung der Abholaktion hätte abgeben sollen. „Außerdem wurde mir durch den Vertrag alles, was mit Großkatzen zu tun hat, untersagt. Ich hätte selbst im Todesfall keine neuen Tiger zukaufen dürfen – dabei sind Tiger Herdentiere und sollten nicht allein leben“, sagt er. Ein neuer, überarbeiteter Vertrag untersagt ihm nun lediglich die Zucht. „Mir ist klar, dass Tierschutzorganisationen eine Art Negativ-Reklame brauchen, um Spenden einzusammeln. Aber bei uns ist das eben einfach nicht der Fall.“Peter Egle, Leiter des Kreisveterinäramts Biberach, bestätigt, dass die Tiger immer in einem guten Zustand gewesen seien. „Trotzdem war die Unterbringung nicht artgerecht und deswegen haben wir die Tiger geholt“, sagt Anika Hübner, Leiterin der Kommunikationsabteilung von Vier Pfoten. Neben genügend Auslauf hätten den Tigern auch Beschäftigungsmöglichkeiten gefehlt.
Trotz aller Trauer und Kritik: Roland Rohr will seinen Tierhof weiter vergrößern. „Jetzt sind erst einmal die Gehege von Puma und Stinktieren dran“, erzählt er. Und seine Tierfamilie soll sogar noch Zuwachs bekommen. „Irgendwann hätte ich gerne Schneeleoparden und Erdmännchen.“
„Ein Wildtier im Garten wird nie zahm. Es bleibt immer eine Gefahr – und zwar nicht nur für dessen Besitzer.“Martina Klausmann vom Landestierschutzverband „Man kann Tiger, Löwen oder Pumas eben einfach nicht artgerecht im Wohnzimmer halten.“Martina Klausmann, Landestierschutzverband