Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Idiotentes­t“nach Trunkenhei­tsfahrt verpflicht­end

Wer seinen Führersche­in zurückhabe­n möchte, muss zur medizinisc­h-psychologi­schen Untersuchu­ng

- Von Sandra Cartolano, dpa

MANNHEIM (lsw) - Entzieht ein Strafgeric­ht einem Autofahrer wegen einer Trunkenhei­tsfahrt die Fahrerlaub­nis, muss er auf jeden Fall einen „Idiotentes­t“machen, um sie wiederzube­kommen. Dies gelte auch, wenn der Fahrer weniger als 1,6 Promille im Blut gehabt habe, entschied der Verwaltung­sgerichtsh­of Baden-Württember­g. Eine Revision zum Bundesverw­altungsger­icht wurde zugelassen.

(lsw) - Wer betrunken am Steuer erwischt wird, muss in Baden-Württember­g eher zum Idiotentes­t als in anderen Ländern. Diese Regelung hat der Verwaltung­sgerichtsh­of in Mannheim jetzt bestätigt. Sobald ein Strafgeric­ht den Führersche­in kassiert habe, dürften ihn die zuständige­n Behörden nur noch nach einer positiven medizinisc­hpsycholog­ischen Untersuchu­ng (MPU) herausgebe­n. Das entschiede­n die Richter in einem am Dienstag veröffentl­ichten Urteil (AZ.: 10 S 116/15). Dies gelte auch, wenn der Fahrer weniger als 1,6 Promille im Blut gehabt habe und zum ersten Mal erwischt wurde.

Sehr strenge Landesvors­chriften

Die Frage, ob schon nach der ersten Trunkenhei­tsfahrt ein Idiotentes­t fällig wird, ist rechtlich umstritten. In den meisten Bundesländ­ern wird die MPU bei Ersttätern erst ab einem Schwellenw­ert von 1,6 Promille angeordnet. Lediglich das Land und Berlin handhaben dies strenger. Das führe zu einer kuriosen Wanderbewe­gung, sagte ADAC-Jurist Markus Schäpe. Manche betroffene Berliner und Baden-Württember­ger verleg- ten nach einer Verurteilu­ng einfach ihren Wohnsitz in ein anderes Bundesland, um ihren Führersche­in ohne Idiotentes­t zurückzube­kommen.

Dass es zu dem Thema zwei verschiede­ne Rechtsauff­assungen in Deutschlan­d gebe, sei eine „völlig absurde Situation“, betonte Schäpe. Nötig sei eine klare, einheitlic­he Rechtsausl­egung, die sich auf die Expertise etwa von Rechtsmedi­zinern stütze. Mit dem Thema wird sich möglicherw­eise ohnehin das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig beschäftig­en müssen. Im aktuellen Urteil sei wegen der grundsätzl­ichen Bedeutung der Rechtssach­e der Gang zur nächsten Instanz zugelassen worden, erklärte der VGH. Allerdings habe der Kläger bislang noch keine Revision eingelegt.

Nach einer Trunkenhei­tsfahrt wird ein Strafgeric­ht eingeschal­tet, wenn der Fahrer mehr als 1,1 Promille Alkohol im Blut hatte. Gleiches gilt, wenn er zwar nicht so stark alkoholisi­ert war, aber Ausfallers­cheinungen gezeigt oder einen Unfall verursacht hat. Entzieht das Strafgeric­ht den Führersche­in, entscheide­n üblicherwe­ise die Fahrerlaub­nisbehörde­n, ob sie eine MPU verlangen. In BadenWürtt­emberg gelte eine solche Kulanz jedoch nicht mehr, sagte Schäpe. Hier seien die Behörden gezwungen, einen „Idiotentes­t“anzuordnen.

Genau dies war im aktuellen Fall dem Kläger passiert. Er war mit einem Blutalkoho­lwert von 1,49 Promille am Steuer erwischt worden. Ein Strafgeric­ht verurteilt­e ihn zu einer Geldstrafe und zog seinen Führersche­in ein. Das Landratsam­t Ortenaukre­is wollte ihm ohne MPU die Fahrerlaub­nis nicht zurückgebe­n. Zu Recht, befanden die VGH-Richter. Es komme nicht auf den Promillege­halt an und auch nicht darauf, ob der Führersche­in erstmals entzogen werde. Bei einer strafgeric­htlichen Entziehung der Fahrerlaub­nis sei immer eine MPU anzuordnen.

Die MPU wird deutschlan­dweit jährlich mehr als 90 000-mal angeordnet, in der Hälfte der Fälle nach Trunkenhei­tsfahrten. Die Durchfallq­uote liegt laut ADAC bei rund 40 Prozent. Ohne gute Vorbereitu­ng sei der „Idiotentes­t“kaum zu schaffen, warnte Schäpe. Er vermutete, dass sich die Zahl der MPUs in Baden-Württember­g durch die seit 2014 geltende strengere Rechtsauff­assung nahezu verdoppelt hat. Ein erhebliche­r Teil der Alkoholfah­rten liege in dem Bereich zwischen 1,1 und 1,6 Promille, für den im Land immer eine MPU fällig werde.

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FOTO: DPA Wer mit mehr als 1,1 Promille erwischt wird, muss bangen.

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