Die Hüpfburg und die 70-Meter-Fluppe
Ein erster Blick auf die „Urban Art Biennale 2024“im Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Eröffnet wird sie am Sonntag.
Nein, die Zigarette glüht noch nicht. Aber bei der Ausstellungs-Eröffnung am Sonntag soll es soweit sein. Dann wird der 70 Meter hohe Glimmstengel Rauch in den Himmel über Völklingen pusten. Jene Zigarette ist eigentlich ein Schornstein, den der Künstler The Wa und seine offensichtlich schwindelfreien Kletterer mit Papierbahnen umgestaltet haben. Zugleich ist sie nun „ein Wahrzeichen des Weltkulturerbes und der Urban Art Biennale 2024“, sagt Weltkulturerbe-Direktor Ralf Beil beim Pressetermin am Donnerstagmorgen. Er verspricht „ein breites Programm, mindestens so spannend wie die Biennale davor.“
Breit ist das Programm in der Tat, mit 150 Werken von 80 Künstlerinnen und Künstlern aus 21 Ländern. Anschauen kann man es sich an diesem Morgen nicht ganz, denn an vielen Orten wird noch gearbeitet, gemalt, gehämmert. „Einiges ist noch nicht fertig“, sagt Frank Krämer, der Kurator der Biennale, „es ist ein abenteuerlicher Ritt – aber zur Eröffnung wird alles soweit sein.“So muss dieser erste Blick etwas kursorisch ausfallen – aber dass es enorm viel zu entdecken gibt und man sich sehr lange hier in der Hütte versenken kann, sei schon mal attestiert.
Mindestens zweierlei sei besonders an dieser Biennale, sagt Krämer. Man habe noch stärker den Stadtraum miteinbezogen (mehr dazu später) und man habe Wert darauf gelegt, dass die Künstlerinnen und Künstler nicht nur kurz anreisen, um ihre Werke zu deponieren, sondern dass sie länger bleiben und ihre Kunst vor Ort produzieren. Zum Beispiel das niederländische Duo Krista Burger und Kenneth Letsoin. Für ihr Projekt „Ganzfeld“ließen sie Menschen aus Schulen, Kursen, Jugend- und Seniorengruppen zehn Meter breite Stoffbahnen bemalen – um die 1000 Menschen haben sich letztlich verewigt; nun kann man auf der Brennerbühne durch die gehängten Bahnen wandeln, als seien es Pfade eines knallbunten Dschungels.
Bunt bleibt es einige Meter tiefer unter der Möllerhalle, wo die Arbeit des Berliner Kollektivs Rocco und seine Brüder ein kirchlich konservatives Publikum verschrecken könnte. Die Künstler haben einen kleinen „Wiesel“-Panzer teilweise der Außenhülle entkleidet und diese durch Kirchenfenster aus deutschen und französischen Gotteshäusern ersetzt. Das mag als Kommentar zur Verbindung von Krieg und Kirche, von Gewalt und Religion nicht allzu subtil sein – eine unbestreitbare Wirkung hat das Ganze
aber; und der Panzer in Kleinwagengröße strahlt durch die sakrale Innenbeleuchtung sogar eine gewisse Gemütlichkeit aus. Ein interessant irritierender Effekt.
Dann geht es vorbei an einer vergoldeten Plastiktüte – für das Duo Baptiste Debombourg und David Marin ein Stück Hoffnung in Edelmetall, dass Plastiktüten mal solche Raritäten wie Goldvorräte werden, zum Wohle der geschundenen Umwelt. Mit Müll operiert ein paar Meter weiter die französische Künstlerin LOR-K, die Abfalltürme mit den Logos von Firmen oder Supermarktketten drapiert (und das Ganze dann fotografiert) – das stellt jenen Zusammenhang her zwischen Müll und eigenem Konsum, den man selbst als Konsument und damit Abfallproduzent doch zu gerne verdrängt.
Um die Ecke rumpelt es wie auf einer Baustelle. Der Künstler Ipin bemalt eine Wand, nicht per Pinsel, sondern per Gabelstapler: Mit dem spießt er eine zusammengelegte Matratze auf, versenkt sie in schwarzer Farbe und bestreicht mit ihr die gelbe Wand. Ob das fertige Werk des Künstlers, der offenbar einen Gabelstapler-Führerschein sein Eigen nennt, so originell ist wie der Malvorgang, wird sich zeigen müssen.
An der frischen Luft, im Schatten der Riesenzigarette, steht eine große, aufblasbare Nachbildung einer Ölförderpumpe mit Hüpfburg-Anmutung. Der tschechische Künstler Vladimir Turner erklärt, worum es geht. Diese Pumpe, Symbol von Industrie und Kapitalismus, sei ebenso künstlich wie das neu entdeckte grüne Gewissen großer Konzerne, in seinen Augen perfekt verkörpert vom Mc
Donald's-Logo, einst rot grundiert, nun in kundenberuhigendem Öko-Grün. Turners Pumpe hängt aktuell etwas schlaff herab, die Luft ist buchstäblich raus. Die Pumpe lebt von einem Solarpanel, und der Völklinger Himmel ist gerade mehr als trübe.
Diese Biennale endet nicht am Ausgang – in der Stadt geht sie weiter. Am Auffälligsten in Form der nun strahlend bunten Fenster der alten Röchling-Bank in der Rathausstraße, bemalt vom Duo Burger/Letsoin. Lädt man sich den Lageplan und den Mediaguide der Ausstellung aufs Handy, kann man in der Stadt noch allerlei finden – ob nun ein Werk des Gabelstaplermalers Ipin oder winzige Zeichnungen unter anderem auf Stromkästen. In der Stadt war auch „Die Gesellschaft der Stadtwanderer“unterwegs. Der Künstler Mathieu Tremblin hat als Stadtforscher seit Februar viele Völklinger Geschichten zusammengetragen – sie werden bald auf einigen Mauern zu lesen sein.