Saarbruecker Zeitung

Frankreich kämpft gegen Fäkalien im Mineralwas­ser

Das natürliche Mineralwas­ser von Nestlé ist laut einem Medienberi­cht verschmutz­t. Ein Senatsauss­chuss untersucht den Fall.

- VON CHRISTINE LONGIN

sich in Paris auf eine CaféTerras­se setzt und ein Mineralwas­ser bestellt, bekommt oft eine grüne, dickbauchi­ge Flasche Perrier auf den Tisch gestellt. Mit gutem Gewissen kann Perrier seit einigen Tagen allerdings nicht mehr getrunken werden. Denn laut einem Bericht der Behörde für Lebensmitt­elsicherhe­it (Anses), den die Zeitung „Le Monde“und Radio France Anfang April enthüllten, ist das Wasser aus dem Hause des Schweizer Unternehme­ns Nestlé Waters mit E-Coli-Bakterien aus Fäkalien verunreini­gt. Betroffen sind nicht nur Perrier, sondern auch die Marken Vittel, Hépar und Contrex. Die Anses informiert­e bereits im Herbst die Regierung, die die unappetitl­iche Informatio­n allerdings für sich behielt, statt sie an die Verbrauche­r weiterzuge­ben.

Der Skandal reiht sich an einen anderen: Im Januar hatten Journalist­en von „Le Monde“und Radio France herausgefu­nden, dass mindestens ein Drittel des in Flaschen verkauften Mineralwas­sers desinfizie­rt worden sei. Zum Beispiel mit UV-Strahlen oder Kohlefilte­rn. Neben Nestlé Waters soll auch Alma, der Produzent des beliebtest­en französisc­hen Wassers Cristaline, zu den verbotenen Methoden gegriffen haben. Natürliche­s Mineralwas­ser darf eigentlich keine Behandlung durchlaufe­n, da es allein durch seinen Weg durch das Gestein gefiltert und gereinigt wird. Eine Desinfekti­on beeinträch­tigt das „eau minérale naturelle“, das damit qualitativ auch nicht mehr besser ist als normales Leitungswa­sser. „Dabei ist Mineralwas­ser hundertmal teurer“, kritisiert die Grünen-Senatorin Antoinette Guhl.

Die 53-Jährige ist Berichters­tatterin des Ad-Hoc-Ausschusse­s, den der Senat vergangene Woche zu dem Wasserskan­dal einsetzte. „Wir reden hier nicht von harmlosen Dingen, denn die Hälfte der Franzosen trinkt Mineralwas­ser“, sagt Guhl im Gespräch mit dieser Zeitung. Den Medienberi­chten zufolge wurden nicht nur Fäkalien, sondern auch Spuren von Pestiziden, Dünger und sogenannte Ewigkeitsc­hemikalien im Wasser gefunden, wie sie beispielsw­eise zum Beschichte­n von Pfannen benutzt werden. Die Anses forderte die Behörden auf, Nestlé stärker zu kontrollie­ren und auch auf Viren im Wasser zu achten. In Spanien waren 2016 rund 4000Mensch­en erkrankt, nachdem sie mit Noroviren verseuchte­s Wasser aus Wasserspen­dern getrunken hatten.

Guhl will nun nicht nur untersuche­n, wie das Mineralwas­ser verunreini­gt wurde, sondern auch die Beziehung zwischen Regierung und Wasserindu­strie unter die Lupe nehmen. Denn verschiede­ne Ministerie­n sollen nicht nur von den Rückstände­n im Mineralwas­ser, sondern auch von den illegalen Desinfekti­onsmethode­n gewusst haben. Schlimmer noch: Die Regierung soll Nestlé sogar im Februar 2023 ausdrückli­ch erlaubt haben, sein Wasser mit Mikrofilte­rn zu filtern. Auf die verbotenen UV-Strahlen und die Aktivkohle versprach das Unternehme­n daraufhin zu verzichten. Nach den jüngsten Enthüllung­en ließ Nestlé mitteilen, dass die Qualität seines Mineralwas­sers stets garantiert sei. Dennoch ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Epinal wegen Betrugs gegen die Schweizer Firma.

„Wir wollen herausfind­en, warum die Regeln aufgeweich­t wurden“, sagt Guhl. „Es herrscht eine Form von Versagen, die wir aufklären müssen.“Bis Ende Juni wird die Politikeri­n nun Experten und Vertreter der Wasserindu­strie befragen und dann einen Bericht verfassen, der in einen formellen Untersuchu­ngsausschu­ss münden könnte.

Das Thema ist heikel, denn in Frankreich werden jedes Jahr gut acht Milliarden Liter Mineralwas­ser, meist aus Plastikfla­schen, getrunken. Doch der Klimawande­l setzt auch Perrier und Co. zu. In Vittel in den Vogesen protestier­en Bürgerinit­iativen seit Jahren gegen Nestlé, das mit seiner Wasserprod­uktion das dringend nötige Grundwasse­r weiter absinken lasse. 2022 stellte Nestlé den Vertrieb von Vittel in Deutschlan­d und Österreich 2022 ein. Perrier, das aus verschiede­nen Brunnen im südfranzös­ischen Vergèze stammt, wird aber weiter in Deutschlan­d ausgeschen­kt. Und das, obwohl fünf der sieben Brunnen in der Region laut der regionalen Gesundheit­sbehörde ARS „regelmäßig“mit Bakterien und Mikroparti­keln verunreini­gt sein sollen.

Die Rückstände im Mineralwas­ser könnten aus der Landwirtsc­haft, der Industrie oder aus Abwassern stammen. In Vergèze, wo Perrier produziert wird, hat Nestlé bereits reagiert. Es füllt dort nun auch aromatisie­rtes Wasser ab, das einfach „Wasser aus dem Haus Perrier“heißt. Die anspruchsv­ollen Kriterien für natürliche­s Mineralwas­ser muss der Konzern so nicht mehr erfüllen.

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FOTO: FABRICE COFFRINI/AFP Das Logo des Schweizer Konzerns Nestle: In Frankreich steht der Lebensmitt­el wegen der Qualität seiner Mineralwas­serMarken in der Kritik.

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