Warum immer mehr Frauen zu ihren grauen Haaren stehen
Viele Frauen gehen gegen ihre ergrauenden Haare mit Färbemitteln vor. Warum sich inzwischen ein Gegentrend gebildet hat
Berlin Eines Tages ist es soweit. Und man entdeckt das erste graue Haar bei sich. Viele Frauen rücken dann mit der Pinzette an. Oder versuchen sich daheim mit Handschuhen und Färbemittel am Waschbecken. Aber warum eigentlich? Warum werden Frauen nicht genauso selbstverständlich grau wie Männer? Inzwischen etabliert sich aber ein Gegentrend.
Auf Instagram etwa posten Frauen stolz Fotos ihrer grauen Strähnen. Auf der Berliner Modewoche laufen grauhaarige Models wie Eveline Hall. Und Moderatorin Birgit Schrowange, 61, hat vor zwei Jahren mit dem Färben aufgehört. Jüngst hat sich US-Schauspieler Keanu Reeves mit einer neuen Begleitung gezeigt. Der Hollywoodstar trat händchenhaltend mit der Künstlerin Alexandra Grant auf, beide haben zusammen einen Buchverlag in Los Angeles. Grant zeigte sich mit einem dunkelblauen Kleid und – so sah es aus – natürlichem silbergrauem Haar. Das sorgte nicht nur in USMedien für Debatten über weibliche Schönheitsideale. Wenn die Begleitung von Keanu Reeves das Älterwerden annehmen könne, dann könne sie das auch, schrieb zum Beispiel Autorin Ali Drucker in der New York Times. Grant sehe eben aus wie 46 – und nicht wie die „Hollywoodversion von 46“.
Dass jüngere Frauen zum natürlichen Grau stehen, ist nach Einschätzung von Friseur Antonio Weinitschke aber eher selten. Er hat einen Salon in Aachen und ist Art Director beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks. Es gebe insgesamt eher Frauen, die ab dem 60. Lebensjahr zum Grau stünden. Bei Jüngeren sei das weniger verbreitet. „50 ist noch ein Alter, da will man noch nicht so grau gehen.“
Dass sich viele Frauen nicht mit Grau anfreunden wollen, zeigen auch andere Beispiele. US-Schauspielerin Jennifer Aniston, 50, erklärte zuletzt in der InStyle, sie werde weiter monatlich zum Färben gehen: „Ich werde nicht lügen – ich will keine grauen Haare“.
Genau genommen werden Haare übrigens gar nicht grau, sondern weiß. Erst durch die Mischung mit der Naturhaarfarbe entstehe ein Grauton, sagt Friseur Weinitschke. Wann die ersten weißen Haare auftauchen, sei genetisch bedingt. Bei ihm sei das mit Anfang 50 passiert. Er kenne auch Frauen, die mit 17 Jahren graue Haare bekämen. Blonde sind ein wenig im Vorteil – bei ihnen fällt Grau weniger auf.
Sind die ersten hellen Borsten da, muss man sich entscheiden. Autorin Charlotte Roche, 41, hat ein paar graue Haare an den Schläfen – und mag das auch. „Ich freue mich, wenn ich Frauen sehe, die ihre Haare natürlich grau lassen“, sagte Roche („Schoßgebete“, „Paardiologie“).
Frauen sei über Generationen beigebracht worden, gegen jedes Alterungszeichen zu kämpfen, sonst
gelte man als hässlich und alt, sagte Roche. „Warum sehen nur Männer besser aus, wenn sie altern?“Und alle Frauen alterten nicht schön? Da müsse man ja wohl dagegen vorgehen. Birgit Schrowange jedenfalls hat ihren Schritt zum Leben ohne Haarefärben nicht bereut, wie sie der Bild sagte. Sie habe viel Lebenszeit gewonnen, weil sie am Schluss alle zwei Wochen färben lassen musste. Mit Blick auf Anerkennung für ihre grauen Haare sagte sie: „Es kamen Leute auf mich zu: ’Booooah, du bist sooo mutig!’ Hat das jemals jemand zu meinem Kollegen Peter Kloeppel gesagt?“, fragt sie sich. Julia Kilian, dpa